Geschichte des Westens
sich ein Gesetz an, das die obligatorische Schlichtung von Tarifkonflikten vorsah. Die großen sozialpolitischen Materien, die weiterhin einer Neuregelung bedurften, waren Arbeitslosenunterstützung und Altersversicherung.
Die wirtschaftlichen Folgen der Verringerung der Arbeitszeit, des zweiwöchigen Jahresurlaubs und die Erhöhung der Löhne ließen nichtlange auf sich warten. Die Unternehmer mußten ihren Belegschaften im Durchschnitt 25 bis 35 Prozent mehr zahlen als zuvor; die Produktion ging zurück, während die Preise stiegen; die internationale Konkurrenzfähigkeit Frankreichs litt; die Goldvorräte der Bank von Frankreich sanken, da die Regierung Vorschüsse benötigte, bis auf das gesetzliche Minimum von 30 Milliarden Franc; die Kapitalflucht hielt an. Am 26. September 1936 wurde die freie Konvertierbarkeit des Franc in Gold aufgehoben; im Zuge des Übergangs zu flexiblen Wechselkursen verlor der Franc 25 bis 35 Prozent seines Wertes.
Da der Franc seit langem überbewertet war, hatten einige Politiker, unter ihnen Paul Reynaud, immer wieder seine Abwertung gefordert, bislang ohne Erfolg. Die Reformen vom Sommer 1936 ließen die Abwertung höher ausfallen, als in den Jahren zuvor zu erwarten gewesen wäre. Die französische Produktion stieg infolge der Zäsur vom 26. September 1936 etwas an, aber international wettbewerbsfähig wurde die französische Industrie dadurch nicht. Die Arbeitslosenzahlen sanken nur um 20 bis 25 Prozent, was weiter unter den Erwartungen der vom New Deal und von den Lehren Keynes’ beeinflußten Experten der Volksfront lag; die Großhandelspreise stiegen weiter an, und da die Regierung Blum vor Devisenkontrollen zurückschreckte, hörte auch der Kapitalabfluß ins Ausland nicht auf.
Die Regierung Blum war gerade sechs Wochen im Amt, als am 17./18. Juli nationalistische Offiziere in Spanien putschten und damit den Spanischen Bürgerkrieg auslösten. Die volle Sympathie des Front populaire galt dem Frente popular, der seit dem 16. Februar 1936 in Madrid regierte. Als die spanische Regierung in Paris vertraulich um Waffenhilfe bat, war es denn auch Blums erster Impuls, dem Ersuchen, gestützt auf den bestehenden Handelsvertrag zwischen beiden Ländern, nachzukommen. Aber sowohl der Präsident der Republik als auch die Präsidenten von Deputiertenkammer und Senat warnten den Ministerpräsidenten dringend vor einem Eingriff in den spanischen Konflikt, der leicht auf Frankreich übergreifen, ja einen europäischen Krieg auslösen könnte.
Kammerpräsident war Édouard Herriot, und er sprach für die Mehrheit seiner Partei, der Radicaux. Auch innerhalb des Kabinetts wandten sich die meisten radikalen Mitglieder, darunter Außenminister Delbos und Verteidigungsminister Daladier, gegen eine französische Einmischung; dafür waren lediglich Luftfahrtminister Pierre Cotund der Minister für Nationale Erziehung Jean Zay. Widerspruch kam auch von leitenden Beamten des Außenministeriums. Die nationalistische Rechte betrieb eine massive Agitation gegen jede Parteinahme für die spanische Republik, und es war zu vermuten, daß diese Kampagne auch viele Offiziere beeindruckte. Großes Gewicht hatte auch das britische Nein: Premierminister Baldwin und Außenminister Eden stellten Ende Juli anlässlich eines Besuches von Ministerpräsident Blum und Außenminister Delbos in London unmissverständlich klar, daß Frankreich, falls es in den Spanischen Bürgerkrieg eingriff, nicht mit der Unterstützung des Vereinigten Königreichs rechnen durfte.
Eine enge Zusammenarbeit mit Großbritannien war aus Blums Sicht eine Grundbedingung jeder verantwortlichen französischen Außenpolitik. Nach Lage der Dinge blieb dem Chef der Volksfrontregierung also nichts anderes übrig, als im Hinblick auf Spanien die Linie zu verfolgen, die auch London befürwortete: die Politik der Nichteinmischung aller maßgebenden europäischen Mächte. Tatsächlich unterzeichneten bis Ende August 1936 27 europäische Staaten, unter ihnen auch Italien und Deutschland, die von London und Paris angeregte Nichteinmischungserklärung. In London wurde in der zweiten Septemberwoche ein Nichteinmischungskomitee eingesetzt, in dem außer Großbritannien und Frankreich Deutschland, Italien und die Sowjetunion vertreten waren. Da Berlin und Rom nicht daran dachten, sich an das Prinzip der Nichteinmischung zu halten, und bald darauf auch Moskau aktiv in den Bürgerkrieg eingriff, waren Großbritannien und Frankreich die
Weitere Kostenlose Bücher