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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Kurskorrekturen: Sie mußten die offizielle Außenpolitik der Regierung in dem Maß unterstützen, wie diese zum Bündnis mit der Sowjetunion stand.
    Diese Notwendigkeit ergab sich schon daraus, daß Stalin die strategische Bedeutung der Tschechoslowakei wegen ihrer geographischen Lage und ihres Bündnisses mit Frankreich Mitte der dreißiger Jahre außerordentlich hoch einschätzte. Die neue Linie der KPC vertrug sich aber durchaus mit massiven Drohungen an die Regierenden. So erklärte der kommunistische Abgeordnete Bohumír Šmeral am 22. April 1936 im Prager Parlament, wenn die Bourgeoisie nicht imstande sei, die heutige Konzeption der Allianzpolitik mit der Sowjetunion beizubehalten, dann liege es im Interesse aller Nationalitäten des Staates, «in den machtpolitischen Verhältnissen dieses Landes eine Änderung herbeizuführen».
    Die Tschechoslowakei war nicht nur der einzige Staat Ostmitteleuropas, der sein demokratisches System über die Weltwirtschaftskrise hinwegrettete. Sie war auch der industriell am höchsten entwickelte Staat in diesem Teil des Kontinents. Mit Ausnahme des Jahres 1932 hatte die CSR stets eine aktive Handelsbilanz, ihre Zahlungsbilanz war, außer in den Jahren 1932, 1933 und 1936 stets aktiv. Die hauptsächlich für den Export produzierenden Verbrauchsgüterindustrien hatten unter der Depression in den Agrarländern Ostmittel- und Südosteuropas schwer zu leiden (was sich besonders in den deutschsprachigen Gebieten auswirkte, wo die Arbeitslosenzahlen deutlich über dem nationalen Durchschnitt lagen). Die Wirtschaftshistorikerin Alice Teichova hat die Folgen der Großen Krise für die Tschechoslowakei in den Worten zusammengefaßt: «Im Vergleich zu 1929 hatte die tschechoslowakischeVolkswirtschaft einen stärker autarken Charakter. Ihr Außenhandel blieb unter dem Niveau von 1929, während ihre Industrieproduktion es fast wieder erreicht hatte. Dies verschlechterte die Lage der CSR in der Weltwirtschaft in einer Zeit großer militärischer Bedrohung und trug zu ihrer politischen Schwäche bei.» 12
    Schwerer noch als die Tschechoslowakei wurde Polen von der Weltwirtschaftskrise betroffen. 1930 endete die kurze Phase der Hochkonjunktur, die das Obristenregime als Erfolg der nach dem Militärputsch Pilsudskis vom Mai 1926 eingeleiteten «Sanierung» (sanacja) interpretierte. Der Index der Industrieproduktion sank, wenn man von 1929 als Basisjahr ausgeht und seine Daten gleich 100 setzt, auf 69.1931 und 54 im Jahr darauf. An der Warschauer Börse wurden 1932 Kurse notiert, die bei 20 Prozent des Standes von 1928 lagen. Die Agrarpreise sanken in derselben Zeit um zwei Drittel. Noch 1935 erhielt ein Bauer für seine Erzeugnisse im Durchschnitt ein Drittel dessen, was er 1928 erhalten hatte. «Während die Große Krise in der Stadt an deutsche und amerikanische Zustände erinnerte, nahm sie auf dem Land die Ausmaße einer Zivilisationskatastrophe an», schreibt der Historiker Wlodzimierz Borodziej.
    Die Jahre der Weltwirtschaftskrise waren für Polen auch politisch bewegte Zeiten. 1929 war in Ostpolen eine Vereinigung radikaler ukrainischer Nationalisten, die Organizacija Ukrainskich Nacjonalistiv (OUN) gegründet worden, die auch vor bewaffnetem Terror nicht zurückschreckte. Am 15. Juni 1934 ermordete die OUN mitten im Stadtzentrum von Warschau den polnischen Innenminister Bronislaw Pieracki. Im gleichen Jahr entstand auf Grund eines Dekrets von Präsident Moocicki in Bareza Kartuska ein Konzentrationslager, in das Verdächtige auf Beschluß der örtlichen Behörden, also ohne Gerichtsurteil, für drei bis höchstens sechs Monate eingeliefert werden konnten. Die ersten Sträflinge waren Rechtsextremisten aus dem Obóz Naradowo-Radikalny (ONR), denen fälschlich der Mord an Pieracki angelastet wurde. Am 14. September 1934 kündigte Außenminister Józef Beck vor dem Völkerbund den Minderheitenschutzvertrag vom Juli 1919 mit der Begründung, daß es bisher kein allgemeines, europaweit geltendes Minderheitenschutzgesetz gebe.
    Das politische Regime Polens war seit Pilsudskis Militärputsch von 1926 ein Provisorium. De jure galt noch die parlamentarisch-demokratische,am Beispiel der dritten französischen Republik orientierte, «Märzverfassung» von 1921; de facto war sie weithin außer Kraft gesetzt. Seit Pilsudski Ende November 1930 ein zweites Mal als Ministerpräsident zurückgetreten war, standen fast nur noch Offiziere an der Spitze der Regierung: Sieben von acht

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