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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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1933 und 1937 wurden die in den Verdacht des Trotzkismus geratenen Führungskader der Partei, soweit sie sich in der Sowjetunion aufhielten, fast in Gänze deportiert oder liquidiert. Von über 3800 Funktionären überlebten nur 100 den stalinistischen Terror.1937 begann die «polnische Operation», die sich kollektiv gegen die in der Sowjetunion lebenden Polen richtete. Die KPP wurde im Mai 1938 offiziell aufgelöst. Die im Jahr darauf nachgereichte Begründung lautete, die Partei sei von Agenten des polnischen Faschismus unterwandert gewesen.
    Im Frühjahr 1936 kam es in den Industriegebieten zu großen Streiks und in ihrem Gefolge zu blutigen Kämpfen, die in Krakau 8 und in Lemberg 14 Menschenleben forderten. Ein Jahr später, im April 1937, wurde das Land durch blutige Bauernstreiks erschüttert. Dazu aufgerufen hatte die Bauernpartei, die neben wirtschaftlichen auch politische Forderungen, obenan die nach Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie, aufstellte. Bei schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei wurden über 40 Demonstranten erschossen und etwa 100 Polizisten verletzt. 5000 Bauern wurden festgenommen, rund 1000 vor Gericht gestellt. Die Kontrolle über die staatlichen Machtmittel funktionierte inzwischen so gut, daß das Obristenregime auch diese bisher schwerste Krise überstand.
    Auch von rechts formierte sich eine scharfe Opposition. Die National-Demokratische Partei Roman Dmowskis hatte sich unter der Herrschaft Pilsudskis radikalisiert und ihre antisemitische Agitation gesteigert. Im Januar 1937 gingen die Nationaldemokraten (ND) so weit, die Deportation aller Juden aus Polen zu verlangen. Im Mai und Juni 1937 machte sich auch das gouvernementale OZN die Deportationsforderung zu eigen. Eine rechtsextreme Konkurrentin der ND war das schon erwähnte, 1934 ins Leben gerufene National-Radikale Lager (ONR), das ein Polen nur für die Polen und einen totalitär-faschistischen «katholischen Staat der polnischen Nation» zu seinen zentralen Programmpunkten erhob. In der Bevölkerung gab es durchaus einen Resonanzboden für antisemitische Parolen: Mitte der dreißiger Jahre kam es immer wieder, vor allem auf Wochenmärkten, zu pogromartigen Ausschreitungen, denen 20 Menschen, darunter 14 Juden, zum Opfer fielen.
    Eine Schlüsselrolle beim Schüren antijüdischer Ressentiments spielte der katholische Klerus. Im März 1936 forderte die katholische Bischofssynode die Trennung jüdischer Kinder von den nichtjüdischen an den Schulen. Im gleichen Jahr verkündete der Primas der katholischen Kirche, Kardinal August Hlond, in einem Hirtenbrief vom 29. Februar, das Judenproblem werde solange fortbestehen, wie dieJuden Juden blieben. Ein allgemeiner Haß auf die Juden sei abzulehnen, doch es sei «eine Tatsache, daß die Juden gegen die katholische Bewegung kämpften, daß sie Freidenker sind, daß sie die Vorhut bilden für den Atheismus und jene bolschewistische Bewegung, die für die Revolutionen in unserer Welt verantwortlich zeichnet. Es ist weiterhin eine Tatsache, daß der Einfluß der Juden auf die Moral unseres Volkes ein fataler ist und daß jüdische Verlage pornographische Literatur verbreiten. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Juden Betrug und Wucher betreiben und mit weißen Sklaven handeln. … Man muß sich gegen den schädlichen Einfluß, der vom Judentum ausgeht, schützen. Aus diesem Grund müssen wir uns in diesem Land gegen alle Äußerungen antichristlicher Kultur abschirmen und vor allem die jüdische Presse mit ihren demoralisierenden Publikationen boykottieren.»
    Der Ministerpräsident der Jahre 1936 bis 1939, Felizian Slawoj-Skladkowski, lehnte physische Gewalt gegen Juden ab, erklärte aber den wirtschaftlichen Boykott gegen sie für gerechtfertigt. Um dieselbe Zeit wurden in Regierungskreisen Pläne für eine international koordinierte Zwangsaussiedlung der Juden nach Madagaskar ausgearbeitet: ein Projekt, das als Alternative zu der von polnischen Zionisten geforderten, von Großbritannien aber zunehmend restriktiv gehandhabten Auswanderung nach Palästina gedacht war und über das 1937 zeitweilig ernsthaft, wenn auch letztlich erfolglos, mit der Pariser Volksfrontregierung unter Léon Blum verhandelt wurde. Die zwangsweise Aussiedlung der Juden nach Madagaskar sollte in erster Linie ein gesellschaftspolitisches Problem lösen: das der ländlichen Überbevölkerung. In die Städte konnten die überzähligen polnischen Bauern nur abwandern, wenn zuvor der dort

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