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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Bevölkerung aus. Die größten jüdischen Gemeinden waren die von Rom, Mailand und Triest. Nach den Lateranverträgen von 1920 verschlechterte sich die Lage der Juden. Sie blieben zwar italienische Staatsbürger, aber da der Katholizismus nunmehr zur Staatsreligion erklärt worden war, gehörten die Juden fortan nur noch zu den «vom Staat zugelassenen Religionsgemeinschaften». Infolgedessen wuchs der Druck auf jüdische Schüler, am katholischen Religionsunterricht teilzunehmen.
    Den größten Schub in Richtung Rassismus brachte der Abessinienkrieg. Das Denken in den Kategorien einer rassischen «superiorità» richtete sich traditionell vor allem gegen Slawen und Afrikaner. Durch den Kolonialkrieg in Nordostafrika erhielt es starken Auftrieb. Es bedeutete nicht nur eine diskriminierende Abgrenzung gegenüber Menschen dunkler Hautfarbe, sondern weitete sich bald aus auf die Abwehr von Personen, die «nur» im juristischen Sinne Italiener, nicht aber rassisch zur «razza italiana» gehörten, obenan den Juden. In den Worten des Historikers Hans Woller: «Der eifernde Rassismus, der seine stärksten Wurzeln in den Kolonien hatte, verband sich mit einer Kampfansage gegen den überall lauernden und bremsenden bürgerlichen Geist, wobei unweigerlich auch die Juden in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückten. Sie galten als die Verkörperung der bürgerlichsatten Mentalität, die jetzt permanent angeprangert wurde, und sie störten das Bild nationaler und rassischer Homogenität, das Mussolini so teuer war. Wenn man die Juden schikanierte und entrechtete, so das Kalkül, konnte man auch dem Bürgertum, dem Königshaus und dem Vatikan vor Augen führen, was ihnen blühte, wenn sie sich den faschistischen Neuordnungsplänen weiter widersetzten.»
    Die fortschreitende Ausgrenzung der Juden war Teil jener permanenten Radikalisierung, in der Woller zu Recht eines der Lebensgesetze des Faschismus sieht. «Jede Mäßigung bedeutete Bedrohung, und jeder Stillstand konnte zum Verlust des plebiszitären Rückhalts in der Gesellschaft führen, der nur durch ständige Mobilisierung und Erregung, durch eine Art permanenten Ausnahmezustand, zu gewährleisten war. Daß Mussolini diesem Lebensgesetz ebenso gehorchen mußte wie Hitler und die Führer der kleineren faschistischen Bewegungen, die nie aus eigener Kraft an die Macht gelangten, dürfte ihn nicht weiter bekümmert haben. Nichts lag ihm ferner, als stehen zu bleiben und sich auf den Lorbeeren seiner faschistischen Revolution auszuruhen, die zu seinem Leidwesen noch längst nicht vollendet war.»
    Es war denn wohl auch kein Zufall, daß die systematische Diskriminierung der Juden nach dem Vorbild der Nürnberger Gesetze im Herbst 1938 zeitlich mit einer heftigen, von Parteisekretär Achille Starace organisierten Kampagne gegen die Bourgeoisie zusammenfiel, die sich fortan dem Vorwurf ausgesetzt sah, privaten Profit dem Sieg der nationalen Sache überzuordnen. Mussolinis erster Aufruf zu erhöhterWachsamkeit gegenüber den Juden datiert vom Februar 1938. An den Universitäten, in der Verwaltung, in der freien Wirtschaft und im Kulturleben sollte der Anteil der Juden auf ihren tatsächlichen Bevölkerungsanteil herabgedrückt werden. Ein im Juli veröffentlichtes, vom «Duce» redigiertes «Manifesto degli scienziati razzisti» schloß die Juden kategorisch von der «razza italiana» aus.
    Es folgten eine Reihe von Maßnahmen, die den Alltag der italienischen Juden radikal veränderten. Jüdische Schüler und Lehrer mußten italienische Schulen verlassen. In Italien lebenden ausländischen Juden wurde der Status des italienischen Staatsbürgers aberkannt; sie mußten das Land innerhalb von sechs Monaten verlassen. Im Oktober 1938 definierte der Gran Consiglio del Fascismo in einer «Erklärung über die Rasse» Juden als Personen, die einen jüdischen Vater und eine jüdische Mutter hatten; die Religion spielte dabei keine Rolle. Sie wurde hingegen dann wichtig, wenn jemand aus einer «Mischehe» stammte: War er getauft, galt er als Italiener; andernfalls wurde er als Jude eingestuft. Im Unterschied zu Deutschland gab es demnach in Italien keine Halb-, Viertel- und Achteljuden.
    Ein Gesetz zum Schutz der italienischen Rasse (Provvedimenti per la difesa della razza italiana) vom 17. November 1938, das eine Woche nach dem großen Judenpogrom in Deutschland verabschiedet wurde, bündelte die bisher erlassenen Maßnahmen und führte neue diskriminierende Regelungen ein. Fortan

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