Geschichte des Westens
Großbritanniens aufkommen zu lassen. Doch wie Chamberlain versprach sich auch Halifax keine Vorteile von einem Pakt mit preußischen Politikern und Militärs, deren außenpolitische Ziele, darunter auch die Forderung nach deutschen Kolonien, ihnen womöglich noch gefährlicher schienen als die Hitlers. Diesem hielten die regierenden Tories zugute, daß er Deutschland zu einem Bollwerk des Antibolschewismus gemacht hatte – eine Errungenschaft, die aus ihrer Sicht im britischen und europäischen Interesse lag und daher nicht von einem offen reaktionären Regime gefährdet werden durfte.
Die britische Regierung hatte zum Zeitpunkt, als Kordt mit Halifax zusammentraf, bereits ein weiteres Kapitel der Appeasementpolitik aufgeschlagen. Am 4. August 1938 traf als Abgesandter Chamberlains der frühere Handelsminister Lord Runciman, ein nationalliberaler Politiker und Schiffsmagnat, in Prag ein, um zwischen der tschechoslowakischen Regierung und den Sudetendeutschen zu vermitteln. Runciman entwickelte große Sympathien für die Sache der deutschen Minderheit. Die Prager Regierung war inzwischen zwar bereit, den Sudetendeutschen eine weitreichende Autonomie innerhalb der CSR zuzugestehen, womit sie praktisch alle bisherigen Forderungen der Sudetendeutschen Partei erfüllte und sich überdies, wenn auch sehr spät, von ihrer eigenen Gründungslegende, der vom Nationalstaat der tschechoslowakischen Nation, verabschiedete. Aber das alles genügte der Partei Konrad Henleins nun nicht mehr. Auf Hitlers Veranlassung hin setzte sie jetzt vielmehr auf Selbstbestimmung bis hin zum Recht der Sezession und des Anschlusses an das Deutsche Reich.
Runcimans Mission schlug infolgedessen fehl. Nach London zurückgekehrt, gab er der Prager Regierung die Hauptschuld an dem Mißerfolg seiner Vermittlungsversuche und befürwortete das Recht der Sudetendeutschen, sich mit Deutschland zu vereinigen. Im gleichen Sinn äußerte sich am 7. September, dem Tag der Zusammenkunft zwischen Halifax und Kordt, die «Times» in einem Leitartikel, der weltweit als «offiziös» interpretiert wurde, was das Foreign Office allerdings sogleich dementierte.
Am 6. September begann in Nürnberg der Reichsparteitag «Großdeutschland». In seiner Abschlußrede griff Hitler am 12. September die Tschechoslowakei scharf an. Er warf der Prager Führung «terroristische Erpressung» und «verbrecherische Ziele» vor, hob die gewaltigen militärischen Anstrengungen Deutschlands hervor, beteuerte, daß es ihm nur um das Selbstbestimmungsrecht der viereinhalb Millionen Deutschen in der Tschechoslowakei gehe, und drohte: «Wenn die Demokratien aber der Überzeugung sein sollten, daß sie … mit allen Mitteln die Unterdrückung der Deutschen beschirmen müßten, dann wird dies schwere Folgen haben! … Die Deutschen in der Tschechoslowakei sind weder wehrlos noch sind sie verlassen. Das möge man zur Kenntnis nehmen.»
Gegen Ende seiner Rede versuchte Hitler seiner Politik ein großes historisches Relief zu geben. Er setzte die Entwicklung Deutschlands unter seiner und Italiens unter Mussolinis Führung in Parallele und berief sich nicht zufällig auf den besonderen Rang des «alten Deutschen Reiches», zu dem ja auch Böhmen und Mähren gehört hatten. In diesem Zusammenhang gewann selbst die von Hitler angeordnete Rückführung der alten Reichsinsignien, darunter Krone, Reichsapfel, Szepter und Schwert, von Wien nach Nürnberg, also aus der Stadt der Habsburger Kaiser in die Stadt der Reichsparteitage, aktuelle Bedeutung. «Wenn wir die unerhörten Zumutungen bedenken, die in den letzten Monaten selbst ein Kleinstaat glaubte Deutschland stellen zu dürfen, dann finden wir eine Erklärung dafür nur in der geringen Bereitwilligkeit, im Deutschen Reich einen Staat erkennen zu wollen, der mehr ist als ein friedfertiger Emporkömmling … Das Römische Reich beginnt wieder zu atmen. Deutschland aber, wenn auch geschichtlich unendlich jünger, ist ebenfalls als staatliche Erscheinung keine neue Geburt. Ich habe die Insignien des alten Deutschen Reiches nach Nürnberg bringen lassen, um nicht nur dem eigenen deutschen Volk, sondern auch der ganzen Welt zu bedenken zu geben, daß über ein halbes Jahrtausend vor der Entdeckung der Neuen Welt schon ein gewaltiges germanisch-deutsches Reich bestanden hat … Das deutsche Volk ist nun erwacht und hat seiner tausendjährigen Krone sich selbst als Träger gegeben … Das neue italienisch-römische Reich genau so wie das
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