Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
und jetzt in den Besitz der Reichswerke Hermann Göring übergingen. Die etwa 400.000 Arbeitslosen Österreichs (das war über ein Fünftel der abhängig Beschäftigten) bildeten eine Arbeitskraftreserve, die die deutsche Rüstungsindustrie gut gebrauchen konnte. Die Gold- und Devisenreserven in Höhe von mindestens 782 Millionen Reichsmark ermöglichten es dem Reich, die Importkürzungen zu vermeiden, die angesichts des neuerlichen, von Amerika ausgehenden Einbruchs der Weltwirtschaft sonst nötig geworden wären. Materiell mit das Wichtigste am «Anschluß» aber war die Stärkung der deutschen Position gegenüber den Ländern Ostmittel- und Südosteuropas, die im Zuge des «Neuen Plans» zu den bevorzugten Außenhandelspartnern Deutschlands gehörten.
    Ein
Nachbarstaat hatte freilich seit dem März 1938 Grund zu größter Besorgnis: die Tschechoslowakei. Sie war jetzt durch das Großdeutsche Reich von drei Seiten, im Norden, Westen und Süden, förmlich in die Zange genommen. Daß Hitlers Expansionsstreben mit dem «Anschluß» Österreichs nicht befriedigt war, lag für die Politiker in Prag offen zutage. Am 20. Februar hatte der «Führer und Reichskanzler» in einer Reichstagsrede ein Schutzrecht des Reichesfür jene «10 Millionen Deutschen» in «zwei der an unseren Grenzen liegenden Staaten» beansprucht, die «bis 1866 mit dem deutschen Gesamtvolk noch in einem staatsrechtlichen Bund» vereinigt ge wesen seien. Einer dieser Staaten, Österreich, war inzwischen ein Teil Deutschlands. Der andere, die Tschechoslowakei, unterhielt Bündnisse mit zwei Großmächten, Frankreich und der Sowjetunion. Deutsche Drohungen gegenüber Prag mußten also sofort zu schweren internationalen Verwicklungen führen.
    Hitlers «fünfte Kolonne» in der CSR war die Sudetendeutsche Partei Konrad Henleins, die bei den Wahlen zum tschechischen Parlament im Mai 1935 zwei Drittel aller deutschen Stimmen erhalten hatte (und bei den Kommunalwahlen im Mai und Juni ihren Anteil auf 85 Prozent steigern konnte). Die Einverleibung der sudetendeutschen Gebiete in das Deutsche Reich durfte Henlein noch nicht verlangen, weil seine Partei sonst sofort verboten worden wäre. Aber er konnte tun, worauf Hitler ihn bei einer Zusammenkunft am 28. März 1938 festlegte: Er war in der Lage, der Prager Regierung unerfüllbare Forderungen zu stellen. Ebendies war fortan die Linie der Sudetendeutschen Partei.
    Die Bedrohung der Tschechoslowakei war inzwischen so offenkundig, daß der sowjetische Außenminister Litwinow am 17. März gegenüber Auslandskorrespondenten in Moskau von der Notwendigkeit einer kollektiven Aktion zur Erhaltung des Friedens sprach und kurz darauf den Regierungen in Prag, Paris, London und Washington die Einberufung einer internationalen Konferenz zu ebendiesem Zweck vorschlug. Die britische Regierung, die sich durch die Erfahrung des Spanischen Bürgerkriegs in ihrer negativen Einschätzung der sowjetischen Politik noch bestärkt fühlte, antwortete ablehnend. Eine solche Konferenz würde, so erklärte Premierminister Chamberlain am 24. März im Unterhaus, die internationalen Spannungen noch erhöhen. Ebenso negativ war die Reaktion aus Washington. Die französische Regierung, das zweite Kabinett Blum, konnte nach dem Londoner «No» keine Zustimmung mehr signalisieren. Auch in der Folgezeit betonte Litwinow immer wieder die Bereitschaft der Sowjetunion, ihre Bündnispflichten gegenüber der Tschechoslowakei zu erfüllen, wenn auch Frankreich dies tue – und Polen oder Rumänien der Roten Armee den Durchmarsch durch ihr Territorium gestatteten.
    Am 28. und 29. April erfuhren Blums Nachfolger Daladier und der neue Außenminister Bonnet bei einem offiziellen Besuch in der britischenHauptstadt von Chamberlain und Lord Halifax, daß das Vereinigte Königreich im Fall eines deutschen Angriffs auf die CSR keine Verpflichtung gegenüber Frankreich eingehen wolle – eine Mitteilung, die die französische Seite nicht überraschen konnte, da Chamberlain sich bereits in einer Note vom 22. März entsprechend geäußert hatte. Für die Lösung des sudetendeutschen Problems empfahl Chamberlain weitgehende Zugeständnisse der tschechoslowakischen Regierung und direkte Verhandlungen zwischen Prag und Berlin. Diese abwiegelnde Haltung entsprach ziemlich genau dem, was auch Daladier und Bonnet für zweckmäßig und geboten hielten.
    In der zweiten Maihälfte spitzte sich die Krise zwischen Berlin und Prag dramatisch zu. Die

Weitere Kostenlose Bücher