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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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europäischen, wenn nicht globalen Ausmaßen erreichen können. Darauf aber waren die Deutschen im Herbst 1938 nicht vorbereitet. «Mit diesem Volk kann ich noch keinen Krieg führen», hatte Hitler selbst zugeben müssen, als er am Nachmittag des 26. September von einem Fenster der Reichskanzlei aus sah, wie teilnahmslos und bedrückt die Berliner auf den von ihm angeordneten Vorbeimarsch einer motorisierten Division reagierten. Der Beifall der Münchner für Chamberlain und Daladier bezeugte abermals die Friedensliebe der deutschen Bevölkerung. Unter diesen Umständen war das Münchner Abkommen denn doch für Hitler ein höchst respektables Zwischenergebnis.
    Die Regierungschefs der westlichen Demokratien wurden bei ihrer Rückkehr aus München mit Blumen überschüttet und bejubelt. Die meisten britischen und französischen Zeitungen äußerten sich geradezu euphorisch über den Ausgang des Treffens. Chamberlain wertete ein von Hitler und ihm unterzeichnetes Schriftstück, in dem beide dieEntschlossenheit ihrer Völker bekundeten, nie wieder Krieg gegeneinander zu führen und alle Streitfragen auf dem Verhandlungsweg lösen zu wollen, als Unterpfand des Friedens für absehbare Zeit («peace for our time»).
    Im Unterhaus freilich mußte sich der Premierminister scharfe Kritik nicht nur von seiten der Labour Party, sondern auch von seinen konservativen Parteifreunden Anthony Eden, Duff Cooper und Winston Churchill anhören. Cooper legte aus Protest gegen das Münchner Abkommen sein Amt als Marineminister nieder. Churchill brandmarkte am 5. Oktober das Ergebnis der Konferenz als Erfolg einer beispiellosen Erpressung durch Hitler. Das britische Volk solle wissen, «daß wir einen schrecklichen Meilenstein unserer Geschichte passiert haben, wobei das ganze europäische Gleichgewicht gestört wurde, und daß jetzt das furchtbare Urteil über die westlichen Demokratien gefällt worden ist: ‹Man hat dich in einer Waage gewogen und zu leicht befunden.› Glauben Sie nicht, daß das das Ende ist. Das ist erst der Beginn einer Abrechnung, bloß der erste Schluck, der erste Vorgeschmack des bitteren Trankes, der uns Jahr für Jahr vorgesetzt werden wird, es sei denn, daß wir in einer großartigen Wiedergewinnung unserer moralischen Gesundheit und kriegerischen Stärke von neuem erstehen und mutig für die Freiheit eintreten wie in alter Zeit.»
    Bei der Abstimmung im Unterhaus stimmten am 6. Oktober nach viertägiger Debatte 366 Abgeordnete für und 144 gegen die Haltung, die der Premierminister in München eingenommen hatte. Die Nein-Stimmen kamen von der Labour Party und den Liberalen; 80 Tories, darunter Churchill, Eden, Cooper und der Premierminister der Jahre 1957 bis 1963, Harold Macmillan, enthielten sich der Stimme. Für Chamberlain hatte die Münchner Konferenz noch eine angenehme Nebenwirkung: Am 16. April hatte seine Regierung mit Italien einen Vertrag geschlossen, in dem sich beide Mächte für die Aufrechterhaltung des Status quo im Mittelmeer verbürgten. In Kraft treten sollte der Vertrag aber erst, wenn Italien seine Truppen aus Spanien abgezogen hatte. In München kündigte Mussolini gegenüber Chamberlain den Abzug von 10.000 italienischen Soldaten aus Spanien an, was eine günstige Atmosphäre für das Inkrafttreten des anglo-italienischen Mittelmeerpaktes schaffen würde. Der Premierminister teilte diese Ansicht, zumal die italienischen Angriffe auf britische Schiffe in republikanischenHäfen gemäß einer Weisung Francos nun ihr Ende fanden. Obwohl zu diesem Zeitpunkt noch 12.000 ausgesuchte italienische Soldaten auf der «nationalen» Seite in Spanien kämpften, trat der Vertrag am 16. November 1938 während der letzten Rückzugsgefechte der Republikaner am Ebro in Kraft.
    In Frankreich kam der publizistische und parlamentarische Widerspruch gegen das Münchner Abkommen und damit gegen die Preisgabe eines stets loyalen Verbündeten Frankreichs fast nur von den Kommunisten, während die extreme Rechte der Regierung applaudierte. Bei der Abstimmung über die Außenpolitik Daladiers stimmten am 4. Oktober 535 Deputierte, darunter, mit der Ausnahme eines Parlamentariers, die Sozialisten Léon Blums, für die Regierung und 75 gegen sie; drei Parlamentarier enthielten sich der Stimme. Die Nein-Stimmen kamen von den 73 Kommunisten, dem sozialistischen Abgeordneten Jean Bouhey und dem rechten Deputierten Henri de Kerillis. Außenminister Bonnet, weit mehr noch als Daladier ein Anwalt des

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