Geschichte des Westens
Frankreich, Belgien und Luxemburg sowie des linken Rheinufers. Wegen des Umsturzes in Rußland sollten die deutschen Truppen vorläufig noch nicht aus dem ehedem russischen Staatsgebiet abgezogen werden. Die Friedensverträge von Brest-Litowsk und Bukarest waren für ungültig zu erklären. Außerdem hatte das Deutsche Reich alle U-Boote, eine große Menge an Flugzeugen, Schiffen, Waffen und Munition sowie Lokomotiven, Waggons und Kraftfahrzeugen abzuliefern und die Hochseeflotte abzurüsten. Aus dem Großen Hauptquartier in Spa hatte Hindenburg bereits wissen lassen, daß er, falls Erleichterungen nicht auszuhandeln seien, die Annahme für zwingend geboten hielt. Entsprechend fiel der Beschluß der Sitzungsteilnehmer aus. Die drei Unabhängigen Sozialdemokraten im Rat der Volksbeauftragten wurden anschließend informiert und stimmten ebenfalls zu. Am 11. November um 6 Uhr morgens unterzeichnete die deutsche Delegation in einem Eisenbahnwagen bei Compiègne den zunächst auf 36 Tage befristeten Waffenstillstand. Um 11 Uhr trat er in Kraft.
Bevor die neue Regierung ihre Arbeit aufnehmen konnte, mußte sie sich noch, entsprechend der Vereinbarung der beiden sozialdemokratischen Parteien, von einer Versammlung von etwa 3000 Vertretern der Arbeiter- und Soldatenräte aus Groß-Berlin bestätigen lassen, die am Nachmittag des 10. November im Zirkus Busch zusammentrat. Die Forderung Barths, die Regierung durch einen von den Revolutionären Obleuten gestellten Aktionsausschuß kontrollieren zu lassen, und eine tätliche Bedrohung Eberts durch Mitglieder der Spartakusgruppe hätten fast zum Abbruch der Versammlung geführt. Es waren die Vertreter der Soldaten, die dies verhinderten. Von Wels auf die Linie der Mehrheitssozialdemokraten eingeschworen, verlangten sie ultimativ das Prinzip der Parität auch für den Aktionsausschuß. Die Revolutionären Obleute lenkten daraufhin ein. In den Arbeiterrat des «Vollzugsrats»wurden anschließend je sieben Vertreter von MSPD und USPD gewählt; im tags darauf gewählten, ebenfalls vierzehnköpfigen Soldatenrat überwogen die Parteilosen. Am späten Abend des 10. November bekräftigten MSPD und USPD nochmals ihre Koalitionsabrede. Deutschland hatte wieder eine Regierung.
Die deutsche Revolution war bis zum Abend des 10. November weitgehend unblutig verlaufen. In Berlin hatte es tags zuvor einzelne Kämpfe am Marstall und an der Universität gegeben; am 10. November bereits glaubte Theodor Wolff, der Chefredakteur des linksliberalen «Berliner Tageblatts», von der «größten aller Revolutionen» sprechen zu können. Dieser Superlativ schien Wolff gerechtfertigt, «weil niemals eine so fest gebaute, mit so soliden Mauern umgebene Bastille in einem Anlauf genommen worden ist».
Tatsächlich war am 9. und 10. November 1918 längst nicht alles zusammengebrochen, was zur alten Ordnung gehörte. Die öffentlichen Verwaltungen funktionierten weiterhin wie zuvor; daß örtliche Arbeiter- und Soldatenräte, die meist von den Mehrheitssozialdemokraten beherrscht wurden, ihre Kontrolle übernahmen, behinderte sie weniger, als daß es ihnen eine neue Legitimation verschaffte. Die Justiz, die Gymnasien und Universitäten waren von der Revolution bisher nicht erfaßt worden. Die Oberste Heeresleitung rückte schon am Abend des 10. November zum Partner der Revolutionsregierung auf: In einem legendenumwobenen Telefongespräch will der neue Erste Generalquartiermeister, General Groener, Ebert, dem Vorsitzenden des Rates der Volksbeauftragten, den Vorschlag eines antibolschewistischen Bündnisses unterbreitet haben, worauf dieser eingegangen sei. Was immer Ebert geantwortet haben mag, er brauchte die Hilfe der OHL bei der zügigen und geordneten Rückführung der Truppen in die Heimat. Die Demobilmachung war die Voraussetzung dafür, daß die deutsche Volkswirtschaft möglichst schnell und reibungslos wieder von Kriegs- auf Friedensbedürfnisse umgestellt werden konnte. Schon deshalb halfen die Volksbeauftragten dabei mit, daß es nach dem militärischen Zusammenbruch Deutschlands nicht auch noch zum Zusammenbruch des deutschen Militärs kam.
Was im November 1918 zusammenbrach, war das politische System des Obrigkeitsstaates, das in den Fürsten des Reiches und der Einzelstaaten seinen höchsten Ausdruck fand. Hinter der alten Ordnung standen im Spätjahr 1918 nur noch Minderheiten, und verschwindend geringwar die Zahl derer, die bereit gewesen wären, die Monarchie mit der Waffe in der
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