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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Hand zu verteidigen. Aber es
gab
die Royalisten. Unter den Protestanten waren sie stärker vertreten als unter den Katholiken, und nirgendwo waren sie so stark wie im ostelbischen Preußen. Die Landesherren hatten zwar in allen deutschen Staaten an der Spitze des Kirchenregiments gestanden. Doch die innere Bindung an die Einheit von Thron und Altar, an den Fürsten als den «summus episcopus», war vor allem ein Merkmal des nord- und ostdeutschen Luthertums. Es war nicht zufällig der Berliner Hof- und Domprediger Bruno Doehring, der in seiner wahrscheinlich letzten Kriegspredigt am 27. Oktober 1918 Wilsons Forderung nach dem Thronverzicht Wilhelms II. ein «satanisches Ansinnen» nannte und das Bekenntnis ablegte: «Das Königtum in Preußen ist uns Evangelischen tausendmal mehr als eine politische Frage, es ist uns eine Glaubensfrage.»
    Der Soziologe Max Weber hat kurz nach dem Ersten Weltkrieg im Hinblick auf Deutschland bemerkt, die «Geschichte des Zusammenbruchs der bis 1918 legitimen Herrschaft» habe gezeigt, «wie die Sprengung der Traditionsgebundenheit durch den Krieg einerseits und den Prestigeverlust durch die Niederlage andererseits in Verbindung mit der systematischen Gewöhnung an illegales Verhalten in
gleichem
Maß die Fügsamkeit in die Heeres- und Arbeitsdisziplin erschütterten und so den Umsturz der Herrschaft vorbereiteten». Der soziologische Befund läßt sich in der These zusammenfassen, daß das deutsche Kaiserreich im Herbst 1918 die laut Weber «heute geläufigste Legitimationsform», nämlich den «Legalitätsglauben», weitgehend eingebüßt hatte – eine Herrschaftsressource, die derselbe Autor als «Fügsamkeit gegenüber
formal
korrekt und in der üblichen Form zustandegekommenen Satzungen» definiert.
    Die Aushöhlung überlieferter Wertmaßstäbe durch den Krieg, die immer deutlicher sich abzeichnende militärische Niederlage der Mittelmächte und die Ausdehnung «schwarzer Märkte» als Folge des wirtschafts- und währungspolitischen Systemsversagens: So läßt sich die Trias von Faktoren umreißen, die Webers prägnanter Analyse zufolge den Zusammenbruch des Kaiserreichs verursachten. Die Verkörperung des alten Systems war der Deutsche Kaiser und König von Preußen. Er trug, so sahen es die breiten Massen der Arbeiter, «Kleinbürger» und Bauern, die oberste Verantwortung für die Dauer und den katastrophalen Ausgang des Krieges wie für die materiellen Entbehrungendes Volkes, und weil er uneinsichtig war, mußte er gehen. Wilsons «Vierzehn Punkte» hatten den Glauben genährt, daß Deutschland auf einen gerechten Frieden hoffen durfte, wenn es sein politisches System demokratisierte. Die Friedenssehnsucht förderte also den Wunsch nach Demokratie. Hinter diesen beiden Zielen stand im Herbst 1918 eine breite Mehrheit. Sie bildete den Kern eines zwar nicht allumfassenden, aber doch klassen- und konfessionsübergreifenden Konsenses am Vorabend des 9. November und in den ersten Wochen danach.
    Seit dem 3. Oktober 1918 war Deutschland de facto, seit dem 28. Oktober auch de jure eine parlamentarische Monarchie. Doch das eigenmächtige Vorgehen des Kaisers, der Armee und der Seekriegsleitung in den Tagen seit der Verfassungsreform machte deutlich, daß das neue parlamentarische System nur auf dem Papier stand. Die Revolution von unten brach aus, weil die Revolution von oben an militärischer Obstruktion gescheitert war. Die Obstruktion des Militärs machte es unmöglich, die Institution der Monarchie aufrechtzuerhalten. Zusammenbruch, Obstruktion und Revolution führten zur Proklamation der Deutschen Republik am 9. November 1919. Die Revolution war damit noch nicht zu Ende. Es war nur ein neuer Abschnitt in der Geschichte der deutschen Revolution, der an diesem Tag begann.[ 10 ]
    Eine Staatsumwälzung erlebte im Herbst 1918 nicht nur Deutschland. Am 12. November, drei Tage nach der Proklamation der Deutschen Republik, riefen die deutschen Abgeordneten des österreichischen Reichsrats die «Republik Deutschösterreich» aus, die einen «Bestandteil der Deutschen Republik» bilden sollte. Die Vorgeschichte der Auflösung der Habsburgermonarchie reichte bis in die Zeit vor dem Ausbruch des Weltkriegs zurück. Am 16. März 1914 war der Reichsrat, nachdem ihn die Obstruktion der tschechischen Agrarier arbeitsunfähig gemacht hatte, vertagt worden. Erst auf den 30. Mai 1917 berief ihn die Regierung wieder ein – eine Entscheidung, in die auch die Furcht einfloß, das

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