Geschichte des Westens
währenddessen die Sozialdemokraten um einen Thronverzicht des Kaisers und Königs von Preußen. Einige Erfolge konnten sie mittlerweile verbuchen. Die von den Mehrheitsparteien geforderte Abmilderung des Kriegszustands schritt voran: So wurden am 23. Oktober Karl Liebknecht, den das Oberkriegsgericht im Juli 1916 wegen versuchten Landesverrats zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt hatte, aus der Strafhaft und am 8. November Rosa Luxemburg aus der Schutzhaft entlassen. Am gleichen Tag erfolgte die Freilassung von inhaftierten Teilnehmern der Matrosenmeuterei von 1917. Am 7. November beantwortete die SPD ein Verbot von Versammlungen der USPD in Berlin durch den regionalen Oberbefehlshaber mit einem Ultimatum an das Kriegskabinett. Die Kernpunkte betrafen eine Umbildung der preußischen Regierung im Sinne der Mehrheitsverhältnisseim Reichstag, eine Verstärkung des sozialdemokratischen Einflusses in der Reichsregierung sowie eine Abdankung des Kaisers und einen Thronverzicht des Kronprinzen. Bei Nichterfüllung der Forderungen drohte die MSPD, ihre Vertreter noch am 8. November aus der Reichsregierung abzuberufen.
Am Abend des 8. November verlängerte die SPD ihr Ultimatum bis zur Unterzeichnung des Waffenstillstandes. (Die deutschen Unterhändler mit dem Staatssekretär Matthias Erzberger vom Zentrum an der Spitze hatten Berlin am 6. November verlassen und am Vormittag des 8. November im alliierten Hauptquartier in Compiègne, nördlich von Paris, die Bedingungen der Sieger entgegengenommen.) Wichtige Zugeständnisse der bürgerlichen Mehrheitsparteien erleichterten den Sozialdemokraten das Entgegenkommen: In Preußen und in allen Bundesstaaten sollte das allgemeine gleiche Wahlrecht auf der Grundlage der Verhältniswahl durch Reichsgesetz eingeführt werden, Preußen sofort parlamentarisiert und der sozialdemokratische Einfluß in der Reichsregierung verstärkt werden. Zu allerletzt stimmten die Fortschrittliche Volkspartei und das Zentrum auch der Einführung des Frauenwahlrechts zu. Beide Parteien forderten nun ihrerseits die Abdankung des Kaisers, und selbst die Nationalliberalen gaben zu verstehen, daß sie einen Thronverzicht Wilhelms II. begrüßen würden.
Am 9. November erreichte die Revolution Berlin. Um sich an die Spitze der Bewegung zu stellen, riefen die Mehrheitssozialdemokraten der Reichshauptstadt unter ihrem Bezirkssekretär Otto Wels gegen 9 Uhr die Arbeiter zum Generalstreik auf. Eine Stunde später trat Philipp Scheidemann von seinem Amt als Staatssekretär zurück. Gleichzeitig führte der Vorstand der MSPD Verhandlungen mit den Unabhängigen Sozialdemokraten, die sich aber nicht handlungsfähig fühlten, da ihr Vorsitzender Hugo Haase sich ins aufständische Kiel begeben hatte und noch nicht wieder nach Berlin zurückgekehrt war. Die Revolutionären Obleute, die auf dem linken Flügel der USPD standen, hatten ihrerseits erst am 11. November in der Hauptstadt losschlagen wollen. Das zeitweilige Machtvakuum links von der MSPD gab der Partei Eberts und Scheidemanns eine Chance, die sie zu nutzen verstand. Wels gelang es in einer zündenden Rede, das in Berlin stationierte Bataillon der Naumburger Jäger davon zu überzeugen, daß es jetzt seine Pflicht war, sich auf die Seite des Volkes und der Sozialdemokraten zu stellen.
Als Reichskanzler Prinz Max von Baden die Nachricht vom Übertritt dieser als besonders kaisertreu geltenden Truppe ins Lager der Revolution erhielt, wußte er, was die Stunde geschlagen hatte. Aus dem Großen Hauptquartier in Spa hatte er gegen 11 Uhr telefonisch erfahren, daß der Kaiser sich zur Abdankung entschlossen habe. Obwohl eine offizielle Bestätigung noch nicht vorlag, gab der Kanzler die Absicht Wilhelms II. in einer Mitteilung an das Wolffsche Telegraphenbüro bekannt. Er selbst, Prinz Max, wolle zurücktreten, sobald die Frage der Regentschaft geklärt sei. Dem Regenten wolle er die Ernennung des Abgeordneten Ebert zum Reichskanzler und ein Gesetz über die Wahl einer Verfassunggebenden Nationalversammlung vorschlagen, die dann über die endgültige Staatsform Deutschlands entscheiden solle.
Doch der Versuch, die Monarchie durch eine Regentschaft zu retten, konnte am 9. November nicht mehr gelingen. Kurz nach halb ein Uhr mittags erschien eine Delegation der SPD beim Reichskanzler und den um ihn versammelten Staatssekretären, um die Übergabe der Macht zu fordern. Ebert begründete dieses Verlangen damit, daß nur so Ruhe und Ordnung bewahrt und
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