Geschichte des Westens
Blutvergießen verhindert werden könnten. Die USPD stehe in dieser Frage hinter der MSPD und werde sich möglicherweise an der neuen Regierung beteiligen. Vertreter der bürgerlichen Parteien könnten sich ebenfalls an der Regierung beteiligen, doch müsse das Übergewicht der Sozialdemokraten gesichert sein. Auf die Bemerkung des Prinzen Max, nun müsse noch die Frage der Regentschaft geregelt werden, erwiderte Ebert, dafür sei es zu spät. Der Regierungschef schlug daraufhin unter Zustimmung aller Staatssekretäre vor, Ebert möge das Amt des Reichskanzlers übernehmen, wozu sich dieser nach kurzem Zögern bereit erklärte. An der Spitze des Reiches stand damit erstmals ein «Mann aus dem Volk»: der aus Heidelberg stammende, damals siebenundvierzigjährige ehemalige Sattler und spätere Redakteur der örtlichen Zeitung der Bremer Sozialdemokraten, Friedrich Ebert.
Rund eine Stunde nach dem revolutionären Regierungswechsel, gegen 14 Uhr, rief der zweite Vorsitzende der MSPD, Philipp Scheidemann, ohne von Ebert dazu autorisiert worden zu sein, von einem Balkon des Reichstags die «Deutsche Republik» aus. Zwei Stunden später wurde das Ende der Monarchie nochmals durch einen sehr viel weiter links stehenden Politiker verkündet: von Karl Liebknecht, der vom Portal des Berliner Stadtschlosses aus die «freie sozialistische RepublikDeutschland» proklamierte. Ebert hatte die Entscheidung über die Staatsform der Konstituante überlassen wollen. Der stürmische Beifall, den Scheidemann mit seiner kurzen Rede fand, und die Entwicklung der nächsten Stunden gaben diesem recht. Karl Liebknecht, der Führer der Spartakusgruppe, kam mit seiner Aktion zu spät.
Scheidemann unterstrich demonstrativ den Bruch mit dem alten, obrigkeitsstaatlichen System; Ebert hingegen betonte die Kontinuität. Noch am 9. November rief er die deutschen Bürger zu Ruhe und Ordnung, die Beamten, Richter und Offiziere zu weiterer Erfüllung ihrer Dienstpflichten auf. Die USPD versuchte der neue «Reichskanzler» auf eine Regierung festzulegen, in der beide sozialdemokratischen Parteien gleich stark vertreten waren, während die bürgerlichen Parteien lediglich nachgeordnete Fachminister stellen sollten. Als die Unabhängigen auf Antrag Liebknechts die Forderung aufstellten, «alle exekutive, alle legislative, alle richterliche Gewalt» den Arbeiter- und Soldatenräten zu übertragen, konterte die MSPD scharf: «Ist mit diesem Verlangen die Diktatur eines Teils einer Klasse gemeint, hinter dem nicht die Volksmehrheit steht, so müssen wir diese Forderung ablehnen, weil sie unseren demokratischen Grundsätzen widerspricht.» Auch den von der USPD verlangten Ausschluß der bürgerlichen Kräfte wies die MSPD zurück, weil dadurch die Volksernährung erheblich gefährdet, wenn nicht unmöglich gemacht werde.
Die Position der Unabhängigen trug zunächst die Handschrift Liebknechts und der Revolutionären Obleute. Nach der Rückkehr des Parteivorsitzenden Haase aus Kiel am späten Abend des 9. November setzten sich die Gemäßigten durch. Die USPD lehnte die Wahl einer Konstituante nun nicht mehr grundsätzlich ab, wollte aber die politische Macht in die Hand der Arbeiter- und Soldatenräte legen, die zu einer Vollversammlung aus dem ganzen Reich alsbald zusammenzuberufen seien. In der Erwartung, dort die Mehrheit zu erlangen, stimmte die MSPD dieser Forderung zu. Sie erklärte sich auch mit den drei von der USPD vorgeschlagenen Mitgliedern des neuen «Rats der Volksbeauftragten», so der vereinbarte Name der Provisorischen Revolutionsregierung, einverstanden, von denen zwei, Hugo Haase und Wilhelm Dittmann, zu den Gemäßigten, einer, Emil Barth, zu den Revolutionären Obleuten gehörten. Die MSPD ihrerseits nominierte Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und den Breslauer Rechtsanwalt Otto Landsberg, der seit 1912 Mitglied des Reichstags war.
Die neue Regierung hatte sich noch nicht konstituiert, als die drei mehrheitssozialdemokratischen Mitglieder des Rates der Volksbeauftragten am 10. November um 12 Uhr mittags mit fast allen Staatssekretären der alten Regierung und einigen Ministern der preußischen Regierung zu einer Sitzung zusammentrafen. Einziger Tagesordnungspunkt waren die Waffenstillstandsbedingungen, die Marschall Foch am 9. November im Wald von Compiègne der deutschen Kommission unter Matthias Erzberger überreicht hatte. Die Siegermächte verlangten unter anderem die Räumung der besetzten Gebiete in Elsaß-Lothringen,
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