Geschichte des Westens
gefallen; 90.000 gerieten in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Stalingrad war die schwerste Niederlage, die Deutschland seit 1939 erlitten hatte – die Niederlage, von der es sich nicht mehr erholen sollte und die dem Mythos vom unbesiegbaren «Führer» einen ernsten, wenn auch noch keinen tödlichen Schlag versetzte.
In den folgenden Wochen nahm die Rote Armee Rostow, Charkow und Kursk ein; die Wehrmacht wurde über den Don zurückgedrängt. Während der Schlammperiode erstarrte die Front zeitweilig. Anfang Juli begann Hitler mit einer letzten Großoffensive, der Operation «Zitadelle», einer großen Panzerschlacht, die von Orel und dem rückeroberten Charkow ihren Ausgang nahm, der Roten Armee schwere Verluste beibrachte, aber nach einem sowjetischen Durchbruch am mittleren Teil der Front und dem Fall von Orel Mitte Juli auf Weisung Hitlers abgebrochen wurde. Es folgten weitere sowjetische Offensiven, in deren Verlauf die Deutschen immer mehr nach Westen zurückweichen mußten. Anfang November fiel Kiew; Mitte Januar 1944 reichte die Front von Leningrad über die Pripjet-Sümpfe bis zur Krim. Eine Verstärkung der Ostfront war dem Reich schondeshalb nicht möglich, weil es seit dem Sommer 1943 eine weitere Front gab: in Sizilien, wo am 10. Juli Amerikaner und Briten unter dem Oberbefehl Eisenhowers gelandet waren.
Seit der japanischen Niederlage bei den Midway-Inseln und den deutschen Niederlagen von El-Alamein und Stalingrad schwanden Hitlers Aussichten rasch dahin, im globalen Maßstab gegen das britische Empire vorgehen zu können. Am 28. November 1941 hatte er den nach Deutschland geflüchteten Großmufti von Jerusalem, Haj Mohammed Amin el-Husseini, empfangen und ihm die Unterstützung des Reiches für den Kampf der Araber gegen die Juden Palästinas und ihre britischen Protektoren versprochen. Doch ebensowenig wie der ebenfalls nach Deutschland geflohene ehemalige irakische Ministerpräsident Raschid Ali al-Gailani, ein erklärter Freund der Achsenmächte, mit dem Hitler am 15. Juli 1942 zusammentraf, konnte el-Husseini nach den militärischen Erfolgen der Briten im Nahen Osten und in Nordafrika dem Reich noch von Nutzen sein.
Etwas mehr Glück hatte Hitler mit einem anderen politischen Flüchtling: dem früheren Präsidenten des Indischen Nationalkongresses, Subhash Chandra Bose, mit dem er am 28. Mai 1942 eine Unterredung hatte. Im Juni 1943 gelangte Bose mit Hilfe eines deutschen U-Bootes über Singapur nach Japan, wo er an die Spitze einer von ihm berufenen provisorischen indischen Nationalregierung trat. Aus indischen Kriegsgefangenen in Malaya und Singapur bildete er eine 40.000 bis 45.000 Mann starke indische Nationalarmee, die fortan auf der Seite der Japaner und ihrem Oberbefehl kämpfte. Im Februar 1944 unternahm sie zusammen mit japanischen Kräften von Birma aus einen Vorstoß nach Ostindien, der dort aber ohne Widerhall blieb und im April von den Briten endgültig zurückgeworfen wurde.
Noch bevor die 6. deutsche Armee in Stalingrad kapituliert hatte, waren Roosevelt und Churchill mit ihren Stabschefs vom 14. bis 26. Januar im marokkanischen Casablanca zusammengetroffen, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Das wichtigste Ergebnis war die vom amerikanischen Präsidenten auf einer Pressekonferenz verkündete Forderung nach einer «bedingungslosen Kapitulation» (unconditional surrender) – eine Formel, bei der sich Roosevelt ausdrücklich auf das Vorbild der Beendigung des amerikanischen Bürgerkriegs durch den Oberkommandierenden der Nordstaatentruppen, General Ulysses Grant, im April 1865 berief.
Die Forderung nach der «bedingungslosen Kapitulation» sollte vor allem Stalins Angst vor einem Arrangement zwischen den Westmächten und Hitler entgegenwirken: Ein Sonderfriede mit Deutschland war nunmehr auch dann ausgeschlossen, wenn in Berlin die Regierung wechseln sollte. Deutschland, Italien und Japan hatten nicht nur militärisch, sondern von Staats wegen zu kapitulieren. Als nächste Etappe sollten die Eroberung Tunesiens und die Landung in Sizilien erfolgen. Daran war Churchill vor allem gelegen, weil es für eine Invasion in Frankreich, auf die Stalin beharrlich drängte, aus seiner Sicht 1943 noch zu früh war: Die britischen Verluste an dem von Deutschland errichteten Atlantikwall versprachen umso geringer zu werden, je schwerere Niederlagen die Alliierten der Wehrmacht an anderen Fronten vorher zufügten. Daß die Forderung nach der «bedingungslosen Kapitulation» den
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