Geschichte des Westens
November 1942 auf 4,67 Millionen. Das größte Kontingent stellten sowjetische Kriegsgefangene und Zivilarbeiter mit1,6 Millionen, gefolgt von den Polen mit 1,3 Millionen und französischen Kriegsgefangenen mit 931.000. Bis Ende 1944 stieg die Zahl der ausländischen Zivilarbeiter und Kriegsgefangenen auf mindestens 8,2 Millionen. Dazu kamen 700.000 KZ-Häftlinge. Die Gesamtzahl der deutschen Arbeitskräfte belief sich Mitte des vorletzten Kriegsjahres auf 23,3 Millionen. Die Zivilarbeiter hatten mit 94 Prozent die größte Überlebenschance. An zweiter Stelle standen Kriegsgefangene mit 70 Prozent, an dritter die kleine Gruppe der verbliebenen «Arbeitsjuden» mit 55 Prozent, an vierter und letzter Stelle die KZ-Häftlinge mit 31 Prozent.
Wenn die deutschen Arbeiter davon profitierten, daß soziale Sicherungen der Vorkriegszeit, zum Beispiel in den Bereichen Arbeitsschutz und besonders Mutterschutz, auch nach 1939 aufrechterhalten blieben, lag auch das nicht zuletzt am Interesse des Regimes, sich die Loyalität der Arbeiterschaft zu bewahren. Für die Nachkriegszeit entwickelte die Deutsche Arbeitsfront im Herbst 1940, um der «Heimatfront» ein positives Zukunftsbild vor Augen zu führen und so den Entbehrungen der Gegenwart einen höheren Sinn zu verleihen, ein großzügiges «Sozialwerk des deutschen Volkes». Es schloß eine umfassende Altersversorgung, ein Gesundheitswerk mit Freizeit- und Erholungswerk, eine Reichslohnordnung, ein Berufserziehungswerk und ein soziales Wohnungsbauprogramm mit ein. Unter anderem sollten ein Recht auf Arbeit neben einer Pflicht zur Arbeit gesetzlich festgeschrieben werden. Dem sozialen Wohnungsbau schrieb die Deutsche Arbeitsfront in einer Denkschrift vom September 1940 die Bestimmung zu, «zum Schutzwall gegen die Vergreisung, fremdvölkische Unterwanderung und soziales Elend» zu werden. Die politische Bedeutung dieses Projekts unterstrich Hitler, als er am 15. November 1940 Robert Ley, den Führer der Deutschen Arbeitsfront, zum Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau ernannte.
Das repressive Gegenstück zu den sozialen Wohltaten, den schon gewährten wie den erst verheißenen, war der verschärfte Terror gegen alle diejenigen, die durch ihre Äußerungen und Handlungen dem «Führer» und dem «Endsieg» entgegenwirkten. Die «Instrumente der inneren Disziplinierung der ‹Volksgemeinschaft›» reichten, um den Historiker Rolf-Dieter Müller zu zitieren, «von Ermahnungen über die Einweisung ins KZ bis zum Henkersbeil». Der im April 1934 provisorisch, auf Grund eines Gesetzes vom April 1936 dauerhaft geschaffeneVolksgerichtshof hatte als Erst- und Letztinstanz die Aufgaben des Reichsgerichts im Bereich von Hoch- und Landesverrat und anderen politischen Delikten übernommen. Unter dem Vorsitz von Roland Freisler entwickelte er sich seit 1942 zu einem Tribunal für Schauprozesse. Er bildete fortan die Speerspitze einer Sondergerichtsbarkeit, die jedweden Verstoß gegen neugeschaffene oder verschärfte Straftatbestände mit äußerster Härte verfolgte. Die Zahl der Todesurteile stieg dramatisch an, seit 1943 der Glaube an den «Endsieg» allmählich dahinschwand. Am 26. April 1943 ließ sich Hitler nach heftigen Angriffen auf die deutsche Justiz vom Reichstag in dessen letzter Sitzung überhaupt Vollmachten als «Oberster Gerichtsherr» übertragen, die nicht mehr und nicht weniger bedeuteten als die Beseitigung der letzten Reste von Rechtsstaatlichkeit und richterlicher Unabhängigkeit in Deutschland.
Die Reichstagsrede Hitlers vom 26. April 1942 fand den Stimmungsberichten amtlicher Beobachter zufolge in der Bevölkerung ein überwiegend kritisches Echo, was nicht nur an den Attacken auf die ordentlichen Gewalten lag, sondern mindestens ebensosehr an Andeutungen, daß der Krieg auch im kommenden Winter noch nicht beendet sein werde. Seit dem Ende der «Blitzsiege» im Sommer 1940 hatte der Führermythos nicht dramatisch, aber doch spürbar an Strahlkraft eingebüßt. Seit der Kapitulation von Stalingrad beschleunigte und verbreitete sich dieser Prozeß. «Nicht diese Niederlage, sondern die Unfähigkeit zum Sieg und zur Kriegsbeendung brachten den Umbruch des Führer-Images», schreibt Ian Kershaw. «Die große Erschütterung, die ‹Stalingrad› auslöste, und der enorme Prestigeverlust, den Hitler dabei erlitt, öffneten mit einem Schlag die Schleusen der Regimekritiker und der nun auch nicht mehr verborgenen Kritik am Führer.»
Die
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