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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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6. Juni mit der Landung der Alliierten in der Normandie in greifbare Nähe rückte.
    Kurz darauf begingen Besatzungsmacht und Miliz einige der schrecklichsten Verbrechen der Vichy-Ära. Am 8. Juni hängten deutsche Truppen in Tulle, nachdem sie tags zuvor die von Kämpfern der Widerstandsgruppe Francs-tireurs et partisans eingenommene Stadt zurückerobert hatten, 99 Einwohner an den Balkonen der Gebäude auf. Zwei Tage später, am 10. Juni 1944, rottete die SS-Division «Das Reich» ein ganzes Dorf, Oradour-sur-Glane, aus: 642 Männer, Frauen und Kinder wurden in einer Scheune und der Kirche des Orts zusammengetrieben und erschossen oder bei lebendigem Leib verbrannt. Am 20. Juni entführten Angehörige der France-Garde, der kasernierten Miliz, den früheren radikalsozialistischen Minister Jean Zay, aus dem Gefängnis von Riom; seine Leiche wurde erst 1946 aufgefunden. Am 7. Juli brachten Milizionäre einen anderen radikalsozialistischen Politiker, Georges Mandel, um. Sein Tod sollte die Vergeltung für die Ermordung des Propagandaministers Henriot durch Widerstandskämpfer am 28. Juni sein.
    Am 20. August wurde Marschall Pétain von den Deutschen, die inzwischen den Rückzug aus Frankreich angetreten hatten, gegen seinen Willen von Vichy zunächst nach Belfort und dann ins schwäbische Sigmaringen gebracht. Dorthin begaben sich auch, ebenfalls gegen ihren Willen, Laval und seine Minister. An die Spitze der Exilregierung, der unter anderem Darnand und Déat angehörten, trat, mit der Zustimmung Pétains, der frühere Generaldelegierte der Vichy-Regierung für die besetzten Gebiete und nachmalige Staatssekretär Fernand de Brinon. Reale Macht hatte das Sigmaringer Kabinett nicht mehr. Diese lag mittlerweile in den Händen der Résistance. Am 25. August, drei Tage nachdem der letzte Judentransport aus Frankreich nach Auschwitz abgegangen war, befreiten Truppen der France libre unter General Leclerc, von aufständischen Widerstandskämpfern unterstützt, Paris.Wenige Stunden später zog General de Gaulle in die Hauptstadt ein und begab sich ins Rathaus. Tags darauf marschierte er, von der Bevölkerung stürmisch bejubelt, an der Spitze seiner Getreuen über die Champs-Elysées zur Place de la Concorde.
    Solange die Deutschen in Frankreich das Sagen hatten, war unklar geblieben, was aus diesem Land werden sollte, falls der Krieg mit einem Sieg des Reiches endete. Als sicher durfte gelten, daß Elsaß-Lothringen bei Deutschland verbleiben würde. Von der Germanisierung Burgunds, die vor und nach dem Westfeldzug die Phantasie Hitlers, Himmlers und Goebbels beschäftigt hatte, war seit 1941 keine Rede mehr. Als Teil eines künftigen Großgermanischen Reiches hatte der «Führer» das übrige Frankreich nie betrachtet. Vermutlich wäre einem territorial verkleinerten Frankreich ein Platz als Vasallenstaat des siegreichen Deutschland zugewiesen worden. Daß Hitler einen gewissen Respekt vor der Kultur des besiegten Landes empfand und darin vom deutschen Botschafter in Paris, Otto Abetz, und vielen deutschen Offizieren noch weit übertroffen wurde, bewahrte die Franzosen davor, als Sklavenvolk behandelt zu werden und damit ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie Weißrussen, Ukrainer und Polen.
    Auf der anderen Seite arrangierten sich viele der von Abetz umworbenen französischen Künstler und Intellektuellen, auch wenn sie nicht offen kollaborierten, mit der Realität der Besatzung. Zwischen 1940 und 1944 wurden in Paris bedeutende Theaterstücke wie «Die Fliegen» von Jean-Paul Sartre und «Der seidene Schuh» von Paul Claudel uraufgeführt. Mit deutscher Genehmigung erschienen Werke von Albert Camus, Georges Duhamel und selbst von François Mauriac, der der Résistance zuzurechnen war und gleichzeitig in einem Untergrundverlag, den Editions de Minuit, publizierte. Maler, Bildhauer blieben unbehelligt, solange sie sich nicht mit der Besatzungsmacht anlegten. Von einer «blühenden Saison» spricht Marc-Olivier Baruch im Hinblick auf das Paris der Jahre 1940 bis 1944.
    Mit der Befreiung Frankreichs begann die mythische Verklärung der Résistance. Frankreich sei, erklärte Charles de Gaulle am 25. August 1944 in seiner Rede vor dem Pariser Hôtel de Ville, durch sein eigenes Volk, mit der Hilfe seiner Armeen und der Unterstützung von ganz Frankreich, des kämpfenden, also des einzigen, des wahren und ewigen Frankreichs befreit worden (libéré par son peuple avec le concours des armées de la France, avec

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