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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Einfluß hatten: die militärischen Erfolge der Alliierten, die den Deutschen an allen Fronten schwere Niederlagen beibrachten. Die Folge war, daß der Glaube an einen «Endsieg» des Reiches und seiner Verbündeten auch in Frankreich immer mehr dahinschwand.
    Innerhalb des Vichy-Regimes traten im Sommer 1943 erneut Spannungen zwischen Pétain und Laval zutage. Der Chef d’État lehnte sich gegen das Ansinnen der Besatzer auf, alle Juden, die seit 1927 die französische Staatsbürgerschaft erhalten hatten, auszubürgern und damit den Deutschen den Zugriff auf sie zu erleichtern. Laval, der dem deutschen Plan bereits zugestimmt hatte, mußte sich in diesem Punkt korrigieren. Eine Deportation von Juden mit französischem Paß wurde dadurch verzögert, aber nicht verhindert. Einige Monate später kam es zu einer schweren Krise zwischen der Besatzungsmacht und dem État français. Um seiner fortschreitenden Entmachtung durch Laval Einhalt zu gebieten, unternahm Pétain einen Schritt, den der Historiker Marc-Olivier Baruch einen «konstitutionellen ‹Staatsstreich›» nennt: Der Marschall unterzeichnete am 11. November einen Verfassungsakt, durch den die im Juli 1940 suspendierten beiden Kammern der Nationalversammlung einberufen wurden. Ihre Aufgabe sollte darin bestehen, die damals angekündigte neue Verfassung auszuarbeiten undeinen Nachfolger für Pétain zu bestimmen. Die Okkupationsmacht intervenierte sofort und verhinderte die Ausstrahlung der entsprechenden Rundfunkerklärung des Staatschefs. Pétain protestierte, mußte sich aber schließlich fügen und fortan seine ständige Überwachung durch den deutschen Diplomaten Cécil von Renthe-Fink, den früheren Reichs bevollmächtigten in Dänemark, akzeptieren. Der innenpolitische Gewinner des Machtkampfes war Laval.
    Anfang 1944 erzwangen die Deutschen die Entlassung einiger der engsten Berater des Chef d’État sowie einer großen Zahl von Präfekten und Unterpräfekten. Einige von ihnen wurden nach Deutschland deportiert. Gleichzeitig setzte die Besatzungsmacht die Berufung von entschiedenen «collaborationnistes» in Regierungsämter durch: Joseph Darnand, der Generalsekretär der Milice française, wurde am 1. Januar 1944 zum Generalsekretär für die Aufrechterhaltung der Ordnung und damit faktisch zum Polizeiminister, sein Mitarbeiter Philippe Henriot, wie Darnand ein fanatischer Antisemit, fünf Tage später zum Minister für Information und Propaganda ernannt. Am 17. März folgte die Berufung Marcel Déats zum Arbeitsminister. Damit gelangten erklärte Faschisten in Schlüsselpositionen des État français. Sie konnten sich auf die inzwischen zeitweise kasernierte Miliz stützen, die längst zum wichtigsten Instrument im Kampf gegen die Résistance geworden war. Milizionäre wurden von Darnand zu Präfekten, zu Polizei- und Gefängnisdirektoren oder leitenden Beamten des Geheimdienstes ernannt. Den neuen, im Januar 1944 geschaffenen, ebenfalls von Darnand berufenen Standgerichten oblag es, Widerstandskämpfer, die Attentate vorbereitet oder begangen hatten, abzuurteilen. Bei erwiesener Schuld hieß das, da ein Einspruch nicht möglich war, sofortige Exekution.
    Der Machtgewinn der Miliz bedeutete eine Entmachtung der Polizei, die dadurch dem État français entfremdet wurde. Aus ihren Reihen wie aus denen der Beamtenschaft erhielt die Résistance neuen Zulauf, so daß die Grenzen zwischen Kollaboration und Widerstand teilweise undeutlich wurden. Besonders heftige Kämpfe zwischen der Résistance und der Miliz fanden Anfang 1944 im Maquis von Glières im Departement Haute-Savoie statt, wo die Vichy-Kräfte sich nur noch mit deutscher Hilfe durchsetzen konnten. Die anschließenden Exekutionen von Widerstandskämpfern fanden häufig statt, ohne daß es zuvor Gerichtsverfahren gegeben hätte. In der Bevölkerung wurde Laval für den Terror der Miliz verantwortlich gemacht, wenigerPétain, der nach wie vor ein beträchtliches persönliches Ansehen genoß. Am 26. April wurde der Marschall bei dem einzigen Besuch, den er seit dem Waffenstillstand Paris abstattete, mit Ovationen empfangen; ähnlich freundlich war die Begrüßung des Staatschefs in anderen Städten, in die er im Frühjahr 1944 kam. Doch von der breiten Unterstützung, auf die sich der État français zunächst hatte verlassen können, war um diese Zeit nicht mehr viel übrig: Die Mehrheit der Franzosen wartete ungeduldig auf die Befreiung von der Fremdherrschaft – ein Ereignis, das am

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