Geschichte des Westens
Gestapo auf Grund seiner Kontakte zur illegalen KPD am 5. Juli verhaftet hatte, wurde am 20. Oktober zum Tode verurteilt und am 5. Januar 1945 hingerichtet. Goerdelers Urteil erging am 8. September; die Vollstreckung erfolgte am 2. Februar 1945. Moltke wurde im Januar 1945 verurteilt und hingerichtet. Am 2. Februar erlitt Pater Alfred Delp dasselbe Schicksal. Dietrich Bonhoeffer, der schon Anfang 1943 verhaftet worden war, wurde im Februar 1945 in das Konzentrationslager Flossenbürg eingeliefert und dort am 9. April nach einem Standgerichtsverfahren hingerichtet. Insgesamt belief sich die Zahl der Hinrichtungen, die mit dem 20. Juli 1944 in Zusammenhang standen, auf etwa 200.
Wäre Hitler bei dem Attentat getötet worden, hätte das noch nicht den Sieg der Verschwörer bedeutet. Ihr Rückhalt in der Bevölkerung war schwach. Den amtlichen Stimmungsberichten zufolge waren die meisten Deutschen über den Anschlag empört. Entsprechend groß war ihre Freude über die Meldung, daß Hitler nur leicht verletzt worden war. Nach den Beobachtungen des Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg wurde das Attentat auch «von denen abgelehnt, die keine ausgesprochenen Nationalsozialisten sind, und zwar nicht nur aus Abscheu vor dem Verbrechen als solchem, sondern weil sie überzeugt sind, daß nur der Führer die Lage meistern kann und sein Tod das Chaos und den Bürgerkrieg zur Folge gehabt hätte.»
Mit Chaos und Bürgerkrieg zu rechnen war nicht unrealistisch. Diadochenkämpfe unter den führenden Nationalsozialisten nach Hitlers Tod waren vorhersehbar. Durch Kontakte zu Popitz war selbst Himmler in die Verschwörung «verstrickt». Auf der anderen Seite sprach nichts dafür, daß die Wehrmacht als Ganzes sich hinter die Verschwörer stellen würde. Der Vorwurf, sie hätten der kämpfenden Truppe einen Dolchstoß in den Rücken versetzt, war Stauffenberg und seinen Freunden sicher. Die Behauptung der Nationalsozialisten, die Verschwörung sei das Werk einer kleinen reaktionären Minderheit, fiel auf fruchtbaren Boden. Der «Führermythos» war zwar inzwischen nachhaltig erschüttert, aber er war nicht erloschen. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 erlebte der Mythos sogar vorübergehend eine gewisse Renaissance: Vielleicht, so glaubten nun viele, war Hitler wirklich mit der «Vorsehung» im Bunde und Deutschland nur durch ihn zu retten.
Daß Hitler populärer war als sie, darüber konnten die Männer des 20. Juli nicht im Zweifel sein. Ob sie das deutsche Volk durch Aufdeckung der nationalsozialistischen Verbrechen im nachhinein von der Notwendigkeit des Tyrannenmordes würden überzeugen können, war höchst unsicher. Sie konnten, nachdem Roosevelt und Churchill sich im Januar 1943 in Casablanca auf die Forderung nach der bedingungslosen Kapitulation festgelegt hatten, nicht einmal davon ausgehen, daß die Alliierten den Gegnern Hitlers einen milderen Frieden gewähren würden als einem nationalsozialistisch geführten Deutschland. Der Erfolg ihrer Aktion aber war für die Kerngruppe des Widerstands im Sommer 1944 schon gar nicht mehr das Entscheidende. Worauf es ihr vor allem ankam, war etwas anderes: Die Welt und die kommenden Generationen von Deutschen sollten wissen, daß Hitler nicht Deutschland war, sondern daß es noch ein anderes, ein besseres Deutschland gab.
Wer so dachte, für den war es eine Frage der Ehre, so zu handeln, wie es die Verschwörer des 20. Juli taten. Die meisten von ihnen hatten sich erst spät zum aktiven Widerstand gegen Hitler durchgerungen. Da sie «national» gesinnt waren, war ihnen vieles am Nationalsozialismus nicht fremd. Der Krieg war für sie lange nicht nur Hitlers, sondern auch ihr Krieg gewesen, bei dem es um die Führungsrolle Deutschlands und, seit dem Sommer 1942, zugleich um die Bekämpfung eines aggressiven, verbrecherischen Systems, des Bolschewismus, ging. Die Einsicht, daß sie selbst einem aggressiven, verbrecherischen System dienten, kam den einen früher, den anderen später. Viele waren, ob sie es wahrhaben wollten oder nicht, in unterschiedlichem Maß schuldig geworden. Als sie sich unter Einsatz ihres Lebens gegen Hitler auflehnten, war das auch ein Stück Wiedergutmachung.
Vor dem Richterstuhl Freislers
stand
ein anderes Deutschland. Seine besten Vertreter handelten aus einer Tradition heraus, die christlich oder humanistisch, kantianisch oder preußisch geprägt war. Diese Tradition kannte einen Befehlshaber oberhalb des Staates
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