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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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«rechts» und «links» aufgehoben sein sollte – eine Ordnung, die sich mehr auf die «kleinen Gemeinschaften» wie Familie, Gemeinde, Heimat, Beruf und Betrieb als auf Parteien und andere Großorganisationen gründete, in der Selbstverwaltung und Föderalismus die Gegengewichte zum Reich als oberster Führungsmacht des deutschen Volkes bildeten. Bis hinauf zur Kreisebene sollten die Deutschen ihre Vertreter direkt wählen (wobei Familienväter für jedes nicht wahlberechtigte Kind eine Zusatzstimme erhielten), oberhalb der Kreisebene indirekt, so daß die Landtage aus den Gemeinde- und Kreistagen, der Reichstag aus den Landtagen hervorgegangen wäre. Außenpolitisch waren die «Kreisauer», an der Spitze ihr Wortführer in internationalen Fragen, der in der Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes tätige Legationsrat Adam von Trott zu Solz, Gegner des herkömmlichen Nationalismus und Fürsprecher eines vereinten Europa –was nicht ausschloß, daß Trott zeitweilig Teile Westpreußens und das Sudetenland bei Deutschland belassen wollte.
    Die älteren Konservativen wie Carl Goerdeler, der als kommender Reichskanzler galt, der ehemalige Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, dem das Amt des Außenministers zugedacht war, und der preußische Finanzminister Johannes Popitz waren, anders als die «Kreisauer», deutsche Großmachtpolitiker wilhelminischer Prägung. Was Hitler bis 1940 erobert hatte, sollte, abgesehen vom Generalgouvernement und der offenen «Schutzherrschaft» über Böhmen und Mähren, deutsch bleiben. Wie die wissenschaftlichen Parteigänger des Nationalsozialismus sahen Goerdeler, Popitz und Hassell im Reich die europäische Ordnungsmacht. Sie lehnten die Methoden ab, mit denen Hitler sich den Osten zu unterwerfen trachtete, gewannen dem Krieg gegen die Sowjetunion bis zur Jahreswende 1941/42 aber auch Positives ab: Die Beseitigung des Bolschewismus und die Festigung der deutschen Hegemonie waren mit ihren Vorstellungen von einer Neuordnung Europas durchaus vereinbar.
    Innenpolitisch hoben sich die älteren Konservativen von den «Kreisauern» dadurch ab, daß sie die westliche Demokratie viel entschiedener ablehnten als diese. Popitz etwa sah einen straff zentralistischen Staat vor. Dem Staatsoberhaupt gestand der preußische Finanzminister in seinem Entwurf eines vorläufigen Staatsgrundgesetzes von Anfang 1940 eine diktatorische Machtfülle zu; erst in der endgültigen Verfassung sollte dem Volk die Möglichkeit eingeräumt werden, über eine berufsständische Vertretung Einfluß auf die Politik zu nehmen.
    Auch Goerdeler strebte eine weitgehend verselbständigte Exekutivgewalt ohne wirksame parlamentarische Kontrolle an. Die Regierung konnte jederzeit gesetzesvertretende Verordnungen erlassen. Um sie außer Kraft zu setzen oder die Regierung zu Fall zu bringen, bedurfte es einer Zweidrittelmehrheit des Reichstags. Eine einfache Mehrheit genügte dann, wenn der Reichstag und das Reichsständehaus, die erste Kammer aus Vertretern der Berufsverbände, Kirchen und Universitäten, zusammen die Abberufung der bisherigen Regierung verlangten. Die Mitglieder des Reichstags wurden zur einen Hälfte von den «Gautagen», zur anderen vom Volk direkt gewählt, wobei Familienväter mit mindestens drei ehelichen Kindern eine Zusatzstimme erhielten. Gesetze kamen nur zustande, wenn auch das Reichsständehaus zustimmte. An der Spitze des Reiches sollte zunächstein Generalstatthalter, später vielleicht ein erblicher Monarch stehen.
    Die Vorbehalte der Selbstbestimmung des Volkes ergaben sich aus der konservativen Tradition, aber nicht nur daraus. Man mußte kein Konservativer sein, um aus den Weimarer Erfahrungen den Schluß abzuleiten, daß die Mehrheit irren konnte, das Mehrheitsprinzip also nicht uneingeschränkt gelten durfte. Hitler war zwar nicht durch freie Wahlen ins Kanzleramt gelangt, aber seinen politischen Aufstieg verdankte er den Wählern, die seine Partei zu der mit Abstand stärksten gemacht hatten. Hitlers anhaltende Popularität rechtfertigte Mißtrauen in die Urteilskraft der Massen: Dieser Meinung ware nicht nur die Konservativen, sondern auch viele Sozialdemokraten. Ein autoritäres System aber, wie es Popitz oder, in abgemildeter Form, Goerdeler vorschwebte, hätte sich allenfalls mit militärischer Gewalt an der Macht behaupten können. Die konservativen Hitler-Gegner gaben sich Illusionen hin, wenn sie glaubten, das Volk werde sich mit sehr viel weniger politischen Rechten

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