Geschichte Irlands
verlieÃen über zwei Millionen Iren ihr Land und gingen nach Nordamerika oder Australien, ungefähr 750.000 zogen nach England oder Schottland. Allein in Liverpool, das seit Jahrhunderten die britische Ausgangspforte für den Verkehr zur Nachbarinsel darstellte, kamen bis Juni 1847 30.000 Iren an, welche die Stadt nachhaltig prägten. Obwohl die Iren die weitaus gröÃte Gruppe der europäischen Atlantiküberquerer bildeten, war Amerika nicht nur für sie das Hauptziel, sondern auch für Engländer, Norweger, Schweden, Portugiesen, Spanier, Italiener und Deutsche. In Amerika konnten die Iren zu einer Kultur des «Melting Pots» beitragen. Hier wie auch in anderen europäischen Ländern gehörten sie selbst als temporäre Arbeitsmigranten einem soziokulturellen Netzwerk an, das sich zu einer Immigrantengesellschaft mit teils explosiver religiöser Sprengkraft entwickelte.
Um einen Vergleich anzuführen, so wanderten im 19. Jahrhundert über 2,3 Millionen Schotten nach Nordamerika, Australien, Asien und Südafrika und über 600.000 in den Süden nach England aus. Norweger, Iren und Schotten bildeten Europas gröÃte und mobilste Migrationsgesellschaften. In Manchester entstanden Ghettos wie z.B. New Town mit einem irischen Bevölkerungsanteil von über 60 %. Städte wie Glasgow veränderten ihr Gesicht dramatisch, was sich im Falle von Glasgow bis in die Gegenwart in seinen verfeindeten FuÃballclubs niederschlägt. Ãhnliches widerfuhr New York, wo im Juli 1863 gewalttätige Ausschreitungen organisierter irischer Banden gegen kurz zuvor aus der Sklaverei entlassene und nun auf den Arbeitsmarkt drängende Schwarze über 1500 Todesopfer forderten.Seitdem lieà der Fluss der Emigration nach â versiegen sollte er aber nicht.
Die amerikanische Konjunkturkurve und die europäische Emigrationskurve verliefen ungefähr proportional zueinander. Der Anstieg Letzterer war auch ein Spiegel der RegelmäÃigkeit von Hungersnöten in Irland. Noch zwischen 1871 und 1891 emigrierten über 1,4 Millionen Iren, d.h. ungefähr 70.000 jährlich, von denen nur 20 % aus dem Norden der Insel stammten. Je besser ausgebildet vor allem die Frauen waren, umso eher tendierten sie dazu, ihre Heimat zu verlassen. Dabei hatten Frauen als Arbeitskräfte auf dem Land eine zentrale Bedeutung und trugen, solange der Ackerbau weiter verbreitet war als die Viehzucht, die gröÃte Last, zumal wenn sie einem Haushalt vorstanden, in dem es gewöhnlich viele Kinder, aber kaum Personal gab. Die emigrierenden Männer stammten hingegen vorwiegend aus den schlechter ausgebildeten bis proletarischen Schichten, die in der Landwirtschaft für niedrigste Löhne ohne Aufstiegschancen arbeiteten.
Während fast überall in Europa zwischen 1870 und 1914 weniger Kinder pro Familie geboren wurden, hatte eine südirische Familie durchschnittlich sechs, eine nordirische fünf Kinder. Auf dem Land war es üblich geworden, dass man spät heiratete und dennoch viele Kinder bekam. Auf Druck der katholischen Kirche sank das Heiratsalter jedoch allmählich auf unter 21, womit die Zahl der Geburten noch anstieg. Die Mehrzahl der Nachkommen wanderte aus und subventionierte ihre Familien durch ihre in Ãbersee erworbenen Verdienste. So steuerte die Internationalität der Familien zu ihrer sozialen und materiellen Absicherung bei.
Bildung und geistiges Leben
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das primäre Bildungswesen in Irland völlig unterentwickelt. Wenn überhaupt, wurde die breite Masse der Bevölkerung im Freien unterrichtet, ohne Schulgebäude. Der Einfluss des katholischen Klerus war omnipräsent, bis hin zur Organisation der täglichen Schulspeisung,die ausschlieÃlich katholischen Kindern zuteilwurde, durch die Irish Christian Brothers und die Ursulinen. Schulische Erziehung war eine Angelegenheit der Kirchen, die auch hier ihre religiösen Grabenkämpfe austrugen und eine interkonfessionelle Schulbildung ausschlossen. 1831 führte die britische Regierung ein nationales Bildungssystem in Irland ein. In diesem Jahr hatte es nur 789 Schulen im ganzen Land gegeben, doch schon 20 Jahre später war ihre Zahl auf 3501 mit insgesamt über 400.000 Schülern gestiegen. Erneut offenbarte die Hungersnot die regionalen Diskrepanzen: Ulster besaà über 40 % der Schulen, Connacht lediglich
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