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Geschichte Irlands

Geschichte Irlands

Titel: Geschichte Irlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt Stuchtey
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10 %. Das Analphabetentum war ein ländliches Problem. Zudem war der Bildungsgrad von der Konfessionszugehörigkeit abhängig. 1841 konnte etwas weniger als die Hälfte der irischen Bevölkerung weder lesen noch schreiben; 1911 waren es immerhin noch 12 %.
    Wer des Schreibens nicht mächtig war, beherrschte meist das Gälische. Mitte des 19. Jahrhunderts benutzte noch jeder vierte Ire diese Sprache im Alltag, 50 Jahre später noch jeder zehnte. Damit konnte an die mündliche Tradition des Mittelalters angeknüpft werden. Gleichzeitig erhielt die Sprache eine politische Bedeutung, die an die soziale Stellung ihrer Sprecher geknüpft war: Englisch wurde als die Sprache der Reformation, der Hochkirche, der gebildeten, kommerziellen, professionellen Schichten, des protestantischen Dubliner Trinity College, der Union angesehen. Gälisch, einst ein Symbol der irischen Kultur, wurde darauf reduziert, die Sprache der Armen und Ungebildeten zu sein. Das konnte auch die 1893 gegründete Gaelic League nicht verhindern, die zu akademisch ausgerichtet war und dem wissenschaftlichen Interesse den Vorrang vor dem praktischen Umgang gab. So blieben dem Gälischen zwei Wege: als Alltagssprache mit abnehmender Anschlussfähigkeit und als Literatursprache ohne Außenwirkung.
    Gälische Dichter des 18. Jahrhunderts wie Eoghan Ruadh Ó Súilleabháin waren in Armut gestorben. Die auf Gälisch verfassten Werke ihrer Nachfolger wie z.B. Humphrey O’Sullivan wurden gar nicht erst gedruckt, bevor W. B. Yeats diesen Autor wie auch Aodhagán Ó Rathaille und Brian Merriman im Umkreisdes «Gaelic Revival» wiederentdeckte. Charles Lever, Emily Lawless und Sheridan Le Fanu schlossen sich an. Charakteristisch für die Bewegung der gälischen Wiedergeburt waren ihr spätromantischer Keltismus, ihr christlich-esoterischer Okkultismus, ihre gleichsam archaisierende Abkehr vom Materialismus und Rationalismus der Moderne sowie ihre Rückkehr zur Folklore, zu alten Tänzen, alter Poesie und Liedkultur. Die politische Botschaft von Yeats’ Drama
The Countess Cathleen
(1892), das in Irland zur Zeit einer Hungersnot spielt, war unzweideutig. Das Stück wurzelte in einer typisch irischen Ästhetik des Fin de Siècle, einem markanten Gegenentwurf zur englischen Literatur der Jahrhundertwende. Sein Forum war nicht die politische Bühne, sondern das 1899 in Dublin ins Leben gerufene Irish Literary Theatre (seit 1904 Abbey Theatre) sowie das 1928 gegründete Gate Theatre. Yeats erhielt 1923 den Literaturnobelpreis – eine Antwort der Weltöffentlichkeit auf das Verlangen Irlands nach politischer Anerkennung und auf die symbolische Verzahnung von Literatur und Politik.
Land, Home Rule und Protestantischer Unionismus
    Für die, die den Hunger überlebten und nicht auswanderten, war Irland nach 1850 ein anderes Land geworden. Mit dem Bevölkerungsschwund war eine besonders produktive Altersgruppe verloren gegangen. Übrig blieben verlassene Dörfer und unbestellte Felder. Aber man zog Lehren aus der Hungersnot. Die Pachtbetriebe wurden wie erwähnt vergrößert und die Realerbteilung von Landbesitz verboten. Lebensfähigere Großbetriebe traten an die Stelle der kleinen Höfe, Landarbeiter ersetzten die Wanderarbeiter. Mit Ausnahme des nach wie vor überbevölkerten Westens ordnete sich der ländliche Raum schließlich grundlegend neu, indem die Großviehwirtschaft den Ackerbau verdrängte, Ackerland also in Grünland verwandelt und Futterpflanzen wie Rüben und Hafer vermehrt angepflanzt wurden. In vielen Städten und Dörfern des Ostens und Südens der Insel wurde der monatliche Viehmarkt wichtiger als der Wochenmarkt.
    Die Londoner Regierung hatte die gewöhnlich als «irische Frage» bezeichnete Krise nicht in den Griff bekommen und dem liberalen Freihandelsprinzip folgend ein Land sich selbst überlassen, für dessen Administration sie doch verantwortlich war. Der Liberale William Ewart Gladstone, der erstmals 1868 britischer Premierminister wurde, leitete eine Reform- und Integrationspolitik ein, von der er sich auch eine höhere Krisenfestigkeit Irlands versprach. 1869 wurde die protestantische irische Staatskirche aufgehoben und die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Das Selbstbestimmungsrecht Irlands sollte sich in einem Kernbegriff dieser Epoche wiederfinden: «Home Rule». Daraus wurde ein

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