Geschichte Irlands
der aufstrebenden imperialen Mächte Deutschland, USA und Japan das Selbstverständnis des Britischen Empires. So nahm die britische Politik die irischen Landunruhen ernster denn je. Für Parnell, den autokratischen Parteiführer, der von Isaac Butt die Home-Rule-Bewegung übernahm und sie in eine straff organisierte parlamentarische Partei umformte, bot sich hier die Gelegenheit, das katholische Irland zu stabilisieren. Er schuf ihm eine mächtige Stimme im Parlament von Westminster. Spätestens mit dem groÃen Wahlerfolg von 1885 waren lokale und nationale Kräfte auf einen Nenner gebracht worden.
Gladstones Government of Ireland Bill aus dem Jahr 1886, die das Parlament am Ende ablehnte, spaltete nicht nur die englischen Liberalen in Sympathisanten und Gegner der Home Rule; sie offenbarte auch, wie die komplizierte Parteienlandschaft Westminsters das Auseinanderdriften Irlands reflektierte. So wurden die englischen Konservativen Verbündete der irischen Unionisten. Konservative Parteiführer wie Arthur und Gerald Balfour sowie George Wyndham trieben die Modernisierung Irlands, besonders der Landwirtschaft, voran. Doch wenn der «konstruktive Unionismus» eine moderate Reform des nationalen Wahlsystems und des lokalen Pachtsystems befürwortete, so war das maÃgeblich der Devise «Killing Home Rule by kindness» geschuldet: der Ãberzeugung also, begrenzter materieller Wohlstand und limitierte politische Partizipation würden das katholische Verlangen nach nationaler Freiheit aushöhlen.
In wirtschaftlicher Hinsicht zog Irland Vorteile aus der Union.Die Arbeiterbewegung emanzipierte sich lange nicht von ihren Bindungen nach England und Schottland und blieb in den Interessen zahlreicher Einzelverbände stecken. AuÃerdem definierte sie sich entweder allein als katholisch oder als protestantisch. An eine nationale Solidarität war daher nicht zu denken. Ein Merkmal der Home-Rule-Bewegung war deshalb nicht zuletzt ihre Aufsplitterung in Fraktionen, ob in der Industrie oder auf dem Land. Folglich wurde der Kampf gegen die Verfassung der Union im Wesentlichen auf politischer Ebene und nicht an der Basis ausgetragen. England war als mächtiger Arbeitgeber zwar nicht willkommen, aber unentbehrlich.
In Ulster hatte sich mit dem wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand ein Widerwillen gegen jedwede Form eines Ausgleichs zwischen GroÃbritannien und dem katholischen Irland entwickelt. Die Ascendancy Nordirlands war schon traditionell gegen die Trennung von Staat und Kirche und gegen die Landreformen gewesen. Aber ihr Misstrauen wuchs mit jedem Tag, an dem Arbeitslosigkeit und Armut sich zu Merkmalen des Südens verfestigten. Das Bürgertum und die Werftarbeiter von Belfast empfanden die Katholiken als Rivalen â auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, im politischen Diskurs und im Ringen um die öffentliche Meinung. Wann immer das Thema Home Rule zwischen 1886 und 1912 das politische Tagesgeschäft dominierte, organisierten sich die Unionisten als militante Orangemen. Ihr Ziel, die Vormachtstellung des Protestantismus in Nordirland aufrechtzuerhalten, unterstrich der Orange Order, ein nach dem Vorbild der Freimaurer 1795 gegründeter Geheimbund. Seine Farbe und der Gedenktag des 12. Juli, an dem man der gewonnenen Schlachten Wilhelms von Oranien an der Boyne und bei Aughrim (1690 und 1691) gedachte, waren unmissverständliche Botschaften von einer nicht länger verhandelbaren Lebenswirklichkeit.
Die Fronten zwischen Norden und Süden verhärteten sich, weil das Sektierertum institutionalisiert wurde. Auf unionistischer Seite entstanden Organisationen wie die Irish Unionist Alliance (1891) und der Ulster Unionist Council (1905). Als paramilitärische Organisation etablierte sich die Ulster VolunteerForce, die im Januar 1913 90.000 Mitglieder zählte. Ihre Sprache lieà keine Zweifel offen. Man kämpfe, so die Volunteers, gegen die Home Rule, weil der herrschende Katholizismus unheilvolle materielle Folgen für ganz Irland, nicht nur für Ulster habe.
So sehr zu dieser Zeit Konfrontation und Antagonismus die späteren Hauptkennzeichen des Nordirlandkonflikts vorwegnahmen, so wenig spielte in Dublin oder in London der Gedanke an eine Teilung der Insel in zwei autonome politische Verwaltungen eine Rolle â jedenfalls solange sich der Druck der protestantischen Solemn League and Covenant kontrollieren lieà und die Militarisierung der
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