Geschichte Irlands
politischer Kampfbegriff, den die Unionisten in «Rome Rule» umformulierten. Ein selbstverwaltetes Irland, so meinten sie, werde letzten Endes vom Papst regiert.
Wie schon zu OâConnells Zeit spielte die Landfrage für die Katholiken nun eine zentrale Rolle. Ihre Lösung war an den Erfolg eines politisierten katholischen Klerus geknüpft. Dessen moralisch-politische Führung, etwa in Gestalt von Kardinal Paul Cullen, forderte unbedingten Gehorsam ein, war loyal zu Rom und pflegte engen Kontakt zur katholischen Kirche in Amerika. Im Gegenzug versprach sie, sich für die Rechte der Kleinpächter und landlosen Tagelöhner einzusetzen. Auch der Protestantismus im Norden organisierte sich neu, zumal in Belfast, wo sich ein Industrieproletariat mit der gleichen Selbstverständlichkeit von den Katholiken abgrenzte, wie im Süden die republikanischen «Fenier» konfessionelle Grenzlinien zogen.
Die Fenier waren weniger als separatistische Organisation im eigentlichen Sinne gegründet worden, sondern waren vielmehr ein Produkt der politischen Zeitläufte nach der Hungersnot. Als Geheimgesellschaft boten sie ein Sammelbecken für unterschiedlichste Strömungen, darunter die irischen Emigranten in Amerika, Restbestände der agrarischen Untergrundbewegungen aus den 1830er Jahren und der Young Irelanders sowie Vorbilder der europäischen Revolutionäre von 1848. Ihre politische Rhetorik glich einem Historiengemälde. Nationalistisches Pathos in den grellen Farben einer im Mittelalter einsetzenden Unterdrückungsgeschichte mischte sich mit einem anglophobenOpfergestus. Demzufolge bezahlte jeder einzelne Ire mit seinem Tod für die Auferstehung der irischen Nation, wofür die Hungerkatastrophe als Sinnbild diente. Das Personal der Fenier war ähnlich bunt gemischt. John OâLeary und John Mitchel verkauften den Nationalismus als säkulare Religion. Sie gerieten damit zwar unweigerlich in Konflikt mit dem Herrschaftsanspruch der katholischen Kirche, führten aber das etwa im Bildungswesen stichhaltige Argument der Modernisierung der Gesellschaft ins Feld. Ihr Ziel war die Revision der ungleichen Besitzverhältnisse auf dem Land. Nur 1,5 %, kaum 300 aller Landlords in Irland, besaÃen ein Drittel des gesamten Landes. Ihnen standen fast 100.000 Pächter gegenüber, von denen der GroÃteil kleine Parzellen von lediglich 20 Hektar bewirtschaftete. Die das politische Leben in Irland im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts dominierende Landfrage entlud sich schlieÃlich gewalttätig im «Landkrieg» von 1879â1882.
Technologische Innovationen bei der Einfuhr der Ernte, die in GroÃbritannien zur gleichen Zeit revolutionär wirkten, sowie das dort ausgeklügelte System des Fruchtwechsels und moderne Entwässerungsanlagen hatten Irland selbst im späten 19. Jahrhundert noch nicht erreicht. Horace Plunketts 1894 gegründete Irish Agricultural Organization Society sollte den archaischen Verhältnissen entgegenwirken. Der Autor des Buches
Ireland in the New Century
(1904) war zuversichtlich, dass eine Lösung der Landkonflikte auch zu einer politischen Aufbruchsstimmung führen würde. Plunketts gemäÃigter Optimismus erinnerte an Grattans Versöhnungsversuche 100 Jahre vor ihm und war bestrebt, der nationalistischen Obstruktionspolitik entgegenzuwirken, die der irische Politiker Charles Stewart Parnell im britischen Parlament vertrat. In einem Land, wo immer noch mit Sichel und Sense geerntet wurde und in dem die Gutsbesitzer ihr Vermögen nicht investierten, hofften die Pächter, zumindest nicht ihre Pachtverträge zu verlieren. Die Irish Land League von Michael Davitt kämpfte dafür, dass zahlungsunfähige Bauern nicht von ihren Höfen vertrieben wurden. Als sie jedoch die Enteignung der Gutsbesitzer forderte, das Pachtsystem prinzipiell ablehnte und die von Gladstone eingebrachtenLandgesetze von 1881 und 1882 boykottierte, verlor die Irish Land League Anhänger. Die Kampagne für gerechte Pachtgesetze setzte sich auch mit Charles Boycott, einem Vertreter des Landadels, auseinander und benannte seitdem ihre Politik nach seinem Eigennamen.
Gladstone wollte der Radikalisierung des katholischen Nationalismus vorbeugen, indem er als Geste imperialer Konzessionsbereitschaft die Home Rule einzuführen suchte. Zeitgleich bedrohten Ãgypten, Südafrika und Indien ebenso wie die globale Konkurrenz
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