Geschichte Irlands
Verhängung des Kriegsrechts gehörten zur traurigen Bilanz. Im Ergebnis hatten die Briten Irland wie eine abtrünnige Kolonie abgestraft und wahllos Konspiration auch dort unterstellt, wo man wie im Westen von Connacht lediglich gälische Kulturtraditionen pflegte.
Als Folge driftete Irland in eine politische Sackgasse. Weder waren die Anglisierung und die Union aufgehoben, noch wurde einem anglo-irischen Ausgleich, der sich durch die moderate Home-Rule-Gesetzgebung seit 1912 abzuzeichnen begonnen hatte, eine Chance gegeben. Auch war der elitäre Reformkonstitutionalismus im anbrechenden Medienzeitalter der Ãffentlichkeit nicht länger vermittelbar. Ãamon de Valera, dessen spanisch-amerikanischer Familienhintergrund ihn 1916 wohl vor der Hinrichtung bewahrt hatte, ging deshalb den Weg einer Popularisierung der republikanischen Idee. Gemeinsam mit Arthur Griffith, einem ehemaligen Kämpfer für die Unabhängigkeit Ungarns, gelang es ihm, Sinn Féin bei den allgemeinen Wahlen von 1919 einen überwältigenden Sieg zu sichern. In den 26 Grafschaften des späteren Irischen Freistaats erhielt die Partei 65 % der Stimmen. Dabei profitierte sie davon, dass die noch junge Labour Party zugunsten der Freiheitsbewegung keine eigenen Kandidaten aufstellte. Labours Unterordnung unter dienationale Frage marginalisierte allerdings langfristig die irische Arbeiterbewegung in Europa.
Die 1905 gegründete Partei Sinn Féin vertrat einen radikalen Separatismus und die Auffassung, die Loslösung Irlands von GroÃbritannien müsse aus eigener Kraft und ohne Hilfe von Seiten der britischen Liberalen, welche die Home Rule befürworteten, erreicht werden. Sinn Féin begriff sich nach der Wahl von 1919 als legitimes Parlament Irlands (Dáil Ãireann), weshalb die 27 Abgeordneten ihre Mandate in Westminster nicht antraten, und verkündete die Republik, als deren erster Präsident de Valera bestimmt wurde. Dieser aber befand sich bis Ende 1920 in den USA, wo er um Unterstützung warb. Die britische legislative, exekutive und administrative Autorität sollte fortan ignoriert werden, und Sinn Féin richtete eigene Gerichte ein.
Was den Feniern in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht gelungen war, sollte nun im südlichen Teil der Insel Realität werden. Doch mit der Proklamation der Republik gab es kein politisches Gesamtirland mehr. In den sechs Grafschaften des Nordens lebten ungefähr 1,3 Millionen Menschen, die zu zwei Dritteln der protestantischen Kirche angehörten; im Süden der Insel waren mehr als 90 % der insgesamt 3,1 Millionen Einwohner Katholiken. Den antibritischen Widerstand in Dublin unterstützten guerillaartige, von Michael Collins organisierte Aufstände im ganzen Land, das dadurch unregierbar wurde. Wie Russland und Deutschland hatte auch Irland seine Revolution. Klassenkonflikte äuÃerten sich in einer seit den Landunruhen der 1870er und frühen 1880er Jahre nicht mehr gekannten Unerbittlichkeit, die Arbeitslosigkeit erreichte neue Rekordzahlen. Die Solidarität unter den Arbeitern aber verschwand beinahe völlig, als fast 10.000 Katholiken aus Belfaster Fabriken und über 23.000 aus ihren Häusern vertrieben wurden. Im Norden richtete man sich jetzt auf einen kompakten protestantischen Staat ein.
Die Hauptcharaktere auf der politischen Bühne im Süden hätten unterschiedlicher nicht sein können und spalteten sich an der Entscheidung, ob sie den Anglo-Irischen Vertrag vom 6. Dezember 1921 akzeptieren sollten. Der Vertrag sah die Bildungeines Irischen Freistaats vor, der zu diesem Zeitpunkt noch die gesamte Insel umfassen sollte, wobei er den sechs Grafschaften Ulsters das Recht gab auszutreten. Er war ein Kompromisswerk, eine Konsequenz des Drucks der öffentlichen Meinung in Amerika einerseits und GroÃbritannien andererseits. Die USA förderten das Selbstbestimmungsrecht kleiner Nationen, für dessen Verteidigung sie im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten, und stellten sich hinter die Republik; zugleich konnten die Protestanten in Ulster erwarten, für ihre hohen militärischen Verluste in Europa und im Empire entschädigt zu werden.
Der Anglo-Irische Vertrag sah noch einen gesamtirischen Eid auf die Krone vor, ohne aber damit der Teilung vorbeugen zu können. Im Gegenteil: Als er am 7. Januar 1922 mit einer knappen Mehrheit von 64 zu 57 Stimmen angenommen wurde und bei der
Weitere Kostenlose Bücher