Geschichte Irlands
Wahl im Juni 1922 die Vertragsbefürworter 58 Parlamentssitze, die Gegner aber nur 35 Sitze errangen, brach der Bürgerkrieg aus. Erneut stand ein zentrales Dubliner Gebäude, diesmal das Zollhaus, im Mittelpunkt der Feindseligkeiten. So gingen der am 21. Januar 1919 begonnene Unabhängigkeitskrieg («Black and Tan War») und der Bürgerkrieg, der im Frühjahr 1923 sein Ende finden sollte, gleichsam ineinander über.
Der Freistaat, der am 6. Dezember 1922 schlieÃlich mit einer neuen Verfassung ins Leben trat, umfasste folglich nur die 26 Grafschaften auÃerhalb Ulsters. Noch hegten die meisten Iren die Hoffnung, der Norden werde aus ökonomischen Gründen sehr bald die Wiedervereinigung anstreben. Formal glich der Irische Freistaat einem Dominion im Britischen Empire, war also noch keine Republik. Damit konnten sich jedoch die Gegner des Anglo-Irischen Vertrags wie de Valera nicht zufriedengeben, und sie zogen daher aus dem Parlament aus. Für die republikanischen Verbände kam der Freistaat einer Niederlage gleich, für die Insel besiegelte er die Teilung und die Etablierung eines terrorähnlichen Untergrunds, für die ungehörten Katholiken Nordirlands festigte er ihren Minderheitenstatus in Ulster. Für alle Iren aber, in Europa wie in Ãbersee, hinterlieà er eine schwere Hypothek für das gesamte 20. Jahrhundert.
V. Teilung und Internationalisierung
1922â2012
Der Begriff der Nation kann als Leitbegriff für die Darstellung der irischen Geschichte im 20. Jahrhundert dienen, denn seit 1921/22 ist die Insel eine geteilte Nation. Er steht damit auch für Jahrzehnte der Gewalt in Nordirland und den modernen Friedensprozess, für den langen Schatten der Vergangenheit und die Hoffnung auf eine Zukunft jenseits des Nationalstaats.
Gewalt als Grundmotiv
Als der Bürgerkrieg im Mai 1923 zu Ende ging, hatte die Teilung in den Irish Free State im Süden und den britisch verbliebenen Norden eine neue Qualität der politischen Gewalt ausgelöst. Als wesentliches Dilemma kristallisierte sich der fehlende Schutz der religiösen und politischen Minderheiten heraus. Der Gewalt ausgesetzt, griffen sie selber zum Terrorismus als Mittel der Politik. Die Militarisierung schritt unaufhaltsam voran, obwohl der Aussöhnungsversuch vorsah, dass der Freistaat wie auch Ulster nach britischem Vorbild jeweils ein eigenes Zweikammerparlament erhalten würden, Irland zudem 46 Abgeordnete nach Westminister entsenden und der englische Monarch Staatsoberhaupt von ganz Irland bleiben sollte.
Der Norden nahm das Modell an. Der Süden hingegen besaà in dem 1919 geschaffenen Dáil Ãireann bereits ein eigenes Parlament und erhoffte sich einen Status im Commonwealth, wie ihn Kanada und Australien besaÃen. 1931 gewährte ein Londoner Gesetz allen Dominions weitgehende Autonomie, doch davon war Irland in den 1920er Jahren noch weit entfernt. Ein Stein des AnstoÃes für die katholischen Nationalisten war der Loyalitätseid auf die britische Krone.
Die Gewalt war mit dem Ende des Bürgerkriegs zwar kurzzeitiggebündelt, zugleich aber durch die Teilung auch verstetigt. In Belfast wurden katholische Werftarbeiter zu Tausenden entlassen. Die Protestanten wiederum konnten sich nicht in einen Staat fügen, der seine Identifikation vornehmlich aus dem Kampf um Unabhängigkeit, dem Katholizismus sowie der Wiederbelebung der gälischen Tradition und Kultur bezog. In vielen Aspekten, etwa mit Blick auf die politische Gewalt im Faschismus der 1930er Jahre, war die Entwicklung in Irland mit der im übrigen Europa vergleichbar. Auch hier verbreiteten sich der Ultranationalismus und Formen des Terrorismus, wie man sie in anderen Ländern kannte. In dieser Hinsicht war Irland fest eingebettet in die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Eigenwege des Südens
Die gälischen Traditionsbestände nach Jahrhunderten der Marginalisierung und der kulturellen Anglisierung wiederzuerwecken, war die Aufgabe von Dichtern und Gelehrten. Nach dem Vorbild James Macphersons, der im 18. Jahrhundert schottische Lieder gesammelt hatte, setzten sich die 1877 ins Leben gerufene Society for the Preservation of the Irish Language und besonders die Gaelic League das Ziel, aus der eigenständigen gälischen Vergangenheit eine irische Identität zu formen. 1925 machte die Gaeltacht Commission die Regionen Irlands ausfindig, in
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