Geschichte machen: Roman (German Edition)
waren, um die schwachen, selbsternannten bayrischen Räte zu zerquetschen. Jede rechte Gruppe in Deutschland trug dieses Symbol. Was Hammer und Sichel dem Marxisten waren, war das Hakenkreuz dem Nationalisten. Es hatte den Adler von seinem angestammten Platz als Totemzeichen verdrängt.
Rudi schwitzte in der Wärme der letzten Septembertage, bog in das Labyrinth der engen mittelalterlichen Gassen ein und ging nach Osten in die Altstadt.
Das Treffen wurde in Sterneckers enger kleiner Brauerei abgehalten, in der es ein Hinterzimmer mit Bierausschank gab. Rudis Stimmung sank. Soweit er sich erinnern konnte, faßte der Raum höchstens hundert Leute. Der Abend würde ihn zu Tode langweilen. Und das im heißen süßlichen Dunst von Malz und Bierhefe.
Neben der Tür zum Sitzungszimmer lag ein aufgeschlagenes Buch auf einem Tischchen.
»Was ist das denn?« fragte Gloder und rümpfte verächtlich die Nase.
»Das Gästebuch, mein Herr«, sagte ein einarmiger junger Rotschopf, der am Tisch saß und nervös die blinkenden Auszeichnungen an Rudis Mantel musterte.
Rudi trug sich ins Buch ein und unterstrich seinen Namen mit einem Schnörkel. »Helfen Sie mir doch bitte mal auf die Sprünge,
welche
Partei diese Sitzung hier abhält«, sagte er schleppend. »Alldeutsche Volkspartei? Nationale Arbeiterpartei? Deutsche Nationalpartei? Nationale Volkspartei? Deutsch-Deutsche Alldeutsche Deutschenpartei?«
Der junge Mann wurde rot. »Die Deutsche Arbeiterpartei, mein Herr!«
»Ach ja, natürlich«, murmelte Rudi. »Wie konnte ich das nur vergessen?«
Der junge Mann las den Namenszug und sprang auf. »Um Vergebung, Herr Major!« sagte er. »Oberst Mayr hatte Sie für sieben Uhr angekündigt. Ich hatte kaum noch mit Ihnen gerechnet.«
Rudi seufzte, zog den Mantel zurecht – der Abend war zwar warm, aber ihm gefiel die arrogante Preußenart, sich einen Paletot um die Schultern zu legen – und folgte dem jungen Mann langsam ins sogenannte »Leiberzimmer«.
»Der Sprecher ist Herr Gottfried Feder«, flüsterte der junge Mann ihm zu, verbeugte sich und verließ den Saal.
Rudi nickte, staubte die Sitzfläche eines Holzstuhls flüchtig mit dem Handschuh ab, nahm Platz und sah sich gleichmütig um.
Vierzig, höchstens fünfzig Männer hatten sich versammelt. Und eine Frau, fiel ihm auf. Sie kam ihm bekannt vor. War das nicht die Tochter eines Bezirksrichters? Feste runde Brüste, aber von unschöner Kurzsichtigkeit, die ihrem Blick etwas Stechendes gab.
Die Versammlung ließ Feder mehr Aufmerksamkeit zukommen, als er verdient hatte. Rudi kannte ihn schon seit geraumer Zeit, in Wirtschaftsfragen war er ein Fanatiker. Er versuchte, einen bizarren, mit dem üblichen Haß auf Juden und Gewerkschaften gewürzten Eintopf aus aufgewärmtem Marxismus an den Mann zu bringen. Die politischen Vorträge dieser Tage glichen mehr und mehr einer billigen Monstrositätenschauim Zirkus. Bewundern Sie die Leoparden-Ziegen-Frau! Glotzen Sie den Affen-Katzen-Jungen an! Bestaunen Sie die Zweideutigkeiten des marxistischen Antikommunisten! Begaffen Sie die Verrenkungen des Sezessionisten, der auf Weimar schwört!
Auf dem Boden lag ein billig gedruckter gelber Handzettel. Gloder hob ihn auf und las ihn durch. Dem Flugblatt zufolge drohte ihm ein Vortrag über das Thema »Wie und mit welchen Mitteln können wir den Kapitalismus abschaffen?«
Rudi ging die Frage durch den Kopf, ob das nationalistische Brimborium und die reaktionäre Rhetorik letztlich nicht auf eine Verbrämung der Marxerei hinausliefen. Es war ein offenes Geheimnis, daß sich Moskau brennend für die deutsche Innenpolitik interessierte. Dort war man sich nicht zu schade, noch die kleinste und unbedeutendste politische Splittergruppe zu unterwandern. Man brauchte sich doch bloß anzuschauen, wie Béla Kun mit einem Kader von Kommissaren, einem Sack voll Geld sowie der Anweisung, Lenin persönlich über Funk Rapport zu erstatten, nach Budapest geschickt worden war. Praktisch über Nacht war Károlyis Regierung gestürzt worden, und Ungarn hatte sich in den Schoß des Bolschewismus begeben. Europa war ein verwesender Leichnam, der auf die kommunistischen Aasgeier wartete.
Nach außen hin gab sich Feder als Sozialist aus, aber als ein nationalistischer, antikommunistischer und antisemitischer Sozialist. War das ein Schachzug der Bolschewisten, oder steckte mehr dahinter? Er sprach treuherzig, zwar ohne jeden politischen Sachverstand, aber das Kuddelmuddel seiner Ideen war Rudi nicht
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