Geschichte machen: Roman (German Edition)
Reichswehr hinsichtlich politischer Gruppierungen darzulegen. Hinterherstellte sich heraus, daß er selber ein heimlicher Roter war. Lauterbach ließ mich wissen, Lenz hätte die Hälfte der Versammlung überzeugt, daß sie mit Lenin besser fahren würden als mit Weimar. Da sehen Sie, womit ich es täglich zu tun habe.«
Gloder hob beschwichtigend die Hand. »Schon gut, schon gut, ich geh ja schon. Ein Vergnügen wird es nicht gerade, aber ich gehe.«
»Bringen Sie in Erfahrung, wer diese Leute sind, aber ziehen Sie sie nicht ins Gespräch. Vermeiden Sie den Eindruck, man wolle sie ausspionieren. Sie sollen nur herausbekommen, was in ihnen vorgeht, und mir hinterher Bericht erstatten, ja?«
Und so spazierte Rudi am frühen Abend die Promenadestraße entlang und pfiff vor sich hin. Leicht belustigt, musterte er im Vorbeigehen die Parolen und Schmierereien an den Wänden.
»
Rache!
«
Aber ja doch, dachte Rudi. Rache. Welch ein politischer Scharfsinn. Welche Reife.
»
Vergeßt niemals Graf von Arco-Valley, den deutschen Helden!
«
Rudi warf einen Blick auf die andere Straßenseite, und ihm fiel wieder ein, daß Graf von Arco-Valley genau an dieser Stelle die Pistole gezogen und den jüdischen Kommunisten Kurt Eisner mit zwei Kopfschüssen aufs Pflaster gestreckt hatte. Es war ein kalter Februartag mit mehr Schnee gewesen, als München seit einigen Jahrzehnten gesehen hatte. Rudi hatte ganz in der Nähe gestanden, und fast hätte ihn eine der drei Vergeltungskugeln getroffen, die Eisners Leibwache auf Arco-Valley abgegeben hatte. Kurz darauf fand sich Rudi in der paradoxen Situation, mit Eisners jüdischem Sekretär Seite an Seite eine Rotte von Spartakisten und anderem rotem Gesindel in Schach halten zu müssen, die den verwundeten Arco-Valley auf der Stelle totschlagen wollten. Ineinem verbeulten Polizeiwagen hatte Rudi den blutenden Grafen zu einem (ebenfalls jüdischen) Arzt begleitet, der seinen Patienten so lange bei Bewußtsein halten konnte, bis dieser seine gestammelte Rechtfertigungsrede vorgebracht hatte. »Eisner war der Totengräber Deutschlands. Ich haßte und verabscheute ihn von ganzem Herzen«, hatte Arco-Valley gekrächzt. »Kämpfen Sie weiter für das deutsche Volk, Gloder. Das Vaterland braucht Männer wie uns.«
Rudi hatte dem Phantasierenden die Hand gedrückt und allerlei markiges teutonisches Blabla von sich gegeben, um ihm Mut zuzusprechen. Er kannte den Mann nur flüchtig, sie waren beide hochdekorierte Kriegshelden, und die prächtigen Schleifen am Revers ihrer verschlissenen Paletots sorgten in den bayrischen Bierkellern, deren Zahl ständig abnahm, immerhin noch für Freibier. Der Graf hatte seine glorreichen Taten an der Ostfront vollbracht, Rudi seine in Flandern. Rudi hatte ihn nie besonders gemocht; er gehörte zu jenen Österreichern, die deutscher als die Deutschen waren. Sie trieften förmlich vor krankhaftem mystischem Pangermanismus, den Rudi genauso widerlich fand wie das dritte Stück Sachertorte in einem Wiener Café. Arco-Valley hatte die bittere Schmach nie verwunden, von der Thule-Gesellschaft abgelehnt worden zu sein, weil er eine jüdische Mutter hatte. Rudi fand diesen Umstand brüllend komisch.
Praktischerweise hatten die Thulisten diese Tatsache jedoch vergessen, und seither schmückte sich Arco-Valley bei den Rechtsreaktionären, Antisemiten und Nationalisten mit einem immer mehr verblassenden Märtyrerkrönchen. Jede einzelne dieser völkischen Gruppen – Thule-Gesellschaft, Germanenorden und weitere drei Dutzend Vereine von Wirrköpfen – behauptete steif und fest, die eigenen hauchdünnen Abweichungen von der Orthodoxie machten einen himmelweiten Unterschied und die eigentliche Heilslehre aus. Zum Kuckuck, im Vergleich dazu wirkte der Turmbau zu Babel wie eine Konferenz in Esperanto.
Rudi kam an der nächsten Parole vorbei, die in knallroten, zwei Meter großen Lettern an die Wand gepinselt worden war.
»
Judentod beseitigt Deutschlands Not!
«
Na ja, vielleicht. Wirklich nur vielleicht. Rudi hatte eher den Eindruck, der Tod einer Handvoll Juden würde nicht ganz ausreichen, um Deutschlands Not zu beseitigen. Deutschland mußte endlich erwachsen werden.
Unter der Parole sah er das ungelenk hingeschmierte heilige germanische Feuerrad, von dessen Haken die blutrote Farbe herabgetropft war, das Hakenkreuz, das sich die Soldaten in Kapitän Ehrhardts Freikorpsbrigade auf den Helm malen mußten, bevor sie in der ersten Maiwoche auf München marschiert
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