Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
Vom Netzwerk:
durchweg unsympathisch. Feder unterschied einen »guten Kapitalismus« – den Kapitalismus der Kohlezechen, Eisenbahnen, Stahlwerke und Rüstungsbetriebe – von einem »schlechten Kapitalismus« – dem Kapitalismus der Finanzbörsen, Banken und Kreditinstitute;kurz gesagt, er unterschied zwischen dem Kapitalismus des deutschen Arbeiters und dem des jüdischen Blutsaugers.
    Mit einem Bleistift in einem Silberröhrchen machte sich Rudi Notizen in seinem schwarzen Heft: »Informationen über Gottfried Feder einholen. Ist er nicht der Schwager des Historikers Karl Alexander von Müller? Stammt er aus der Familie Feder, die für Prinz Otto von Bayern, den nachmaligen König von Griechenland, die Kastanien aus dem Feuer holte? Gibt es irgendwelche Verbindungen? Einen Einfluß Dietrich Eckarts?«
    Er klappte das Notizheft zu und lauschte amüsiert dem Kommentar eines Professors Baumann, der nach einigen sentimentalen Lobesworten an Feders Adresse der jungen Partei auf das angelegentlichste empfahl, als besonders wichtigen Programmpunkt den Kampf um die »Lostrennung« Bayerns von »Preußen« aufzunehmen und eine judenfreie Heilige Katholische Allianz mit Österreich anzustreben.
    Rudi hatte Mayr zwar versprochen, sich nicht an der Diskussion zu beteiligen, aber hier konnte er nicht anders, als sich ebenfalls zu Wort zu melden und dem gelehrten Herrn seine Meinung zu sagen.
    Er stand auf und räusperte sich.
    »Meine Herren: Dürfte ich wohl ein paar Worte sagen?« fragte er und nahm erleichtert zur Kenntnis, daß sofort Ruhe einkehrte. Er wandte sich an die Tochter des Richters, deutete eine Verbeugung an und knallte mit einem galanten »Gnädiges Fräulein!« die Hacken zusammen. Er sah erfreut, daß ein Anflug von Röte die blassen Wangen der jungen Frau überzog. Als er in die Raummitte schritt, fiel ihm wieder ein, daß sie Rosa hieß, Rosa Dernesch, und er gratulierte sich zu seinem reibungslos funktionierenden Verstand, der solche Kleinigkeiten selbst dann noch beachtete, wenn er eine öffentliche Ansprache vorbereitete.
    »Erlauben Sie, daß ich mich vorstelle«, sagte er und lächelte höflich, während sich Professor Baumann verwirrthinsetzte, weil er zum Thema Bayern offensichtlich noch allerlei hatte sagen wollen. »Mein Name ist Rudolf Gloder. Sie mögen an meinem Mantel erkennen, daß ich Major der Reichswehr bin. Oberst Mayr vom Bayrischen Reichswehrgruppenkommando IV hat mich hergeschickt, um Sie zu observieren. Ich wende mich jedoch nicht in dieser Funktion an Sie« – er ließ den Mantel von den Schultern gleiten und nahm die Offiziersmütze ab –, »ich spreche nicht als Soldat zu Ihnen, sondern als Deutscher. Auch als Bayer, aber in erster Linie als Deutscher.«
    Rudi machte eine Pause, ließ seinen Blick durch den Saal schweifen und sah seinen Zuhörern in die Augen. Die einen betrachteten ihn argwöhnisch, die anderen verächtlich, einige wenige wohlwollend, und ein oder zwei nickten zustimmend.
    Er holte tief Luft und brüllte aus Leibeskräften: »WACHT AUF! Wacht auf, ihr selbstgefälligen Narren! Wie könnt ihr hier herumsitzen und mit eurem Geschwätz Deutschlands Zukunft verspielen? WACHT AUF!«
    Seine dröhnende Stimme rüttelte alle Anwesenden auf, ihn selbst nicht ausgenommen. Ein alter Mann in der Ecke nahm seine Aufforderung wörtlich, erwachte mit einem speichelsprühenden Hustenanfall und starrte wild um sich, als befürchte er eine Feuersbrunst.
    Rudi strich sein Hemd glatt und räusperte sich. Energie, Erregung und Ekstase durchfluteten ihn, als hätte er eine große Prise Kokain geschnupft wie früher die habsburgischen Kavallerieoffiziere vor einer Attacke ihres Regiments. Beim Sprechen war ihm jedes Detail jedes Gesichts vor ihm bewußt, und ein Machtrausch beflügelte ihn.
    »Herr Feder spricht über die Juden in den Banken und die Juden im bolschewistischen Rußland«, sagte er leiser, flüsternd fast, wußte jedoch, daß keinem Ohr im ganzen Saal auch nur eine Silbe entging. »Voller Beredsamkeit und Bildung gießt er Hohn und Spott über sie aus. Aber ich frageSie: Wie reagieren die Juden darauf? Zittern sie vor Furcht? Packen sie ihre Koffer und wandern aus? Fallen sie vor uns auf die Knie, erflehen sie unsere Verzeihung, und versprechen sie uns demütig, sich zu bessern? Nein, meine Freunde, sie LACHEN. Sie lachen sich ins manikürte Fäustchen.
    Und was hat Professor Baumann – bei allem schuldigen Respekt vor der Gelehrsamkeit dieses Herrn –, was hat der Professor

Weitere Kostenlose Bücher