Geschichten aus der Murkelei
klettern. Das war wohl nicht so gefährlich, denn in dem Bett schlief die Hausfrau, und Menschen sind für
Mäuse lange nicht so schlimm wie die Katzen, weil sie nicht so schnell wie die Katzen sind und weil sie auch viel fester als
Katzen schlafen.
Wackelohr machte sich also auf den Weg. Zuerst kletterte es am Bettbein hoch, wobei es sich mit seinen Krallen sehr festhalten
mußte. Dann sprang es ins Bett. Da hatte es nun auf Decke und Kissen eine weiche Straße, wo die Krallen nicht klappern konnten.
Es lief eilig voran, weil es aber so eilig lief, paßte es nicht auf, und so kitzelte es mit seinem langen Schwanz die Hausfrau
grade unter der Nase.
Die mußte niesen, wachte auf, meinte, es sei die Katze gewesen, die schon manchmal ins Bett gesprungen war, und rief: »Gehst
du weg, alte Katze!«
Davon erwachte die Katze, glaubte, sie sei gerufen, und |17| sprang mit einem Satz ins Bett. Darüber wurde die Hausfrau erst recht ärgerlich, schlug nach der Katze und rief: »Mach, daß
du fortkommst, Störenfried!«
Die Katze verstand nicht, warum sie erst gerufen wurde und nun wieder nicht kommen sollte und nun gar geschlagen wurde, und
miaute zornig. Davon wachte der Hausherr im Bett daneben auf und rief: »Ist die ungezogene Katze schon wieder im Bett? Na
warte, Olsch!« Und er machte Licht, ergriff einen Stiefel und fing an, nach der Katze zu schlagen, die jämmerlich schrie.
Bei all dem Geschrei und Gespringe und Geschlage und Miauen hatte Wackelohr längst den Bonbon ins Maul genommen, war vom Nachttisch
gesprungen und durch die offene Tür hinausgewutscht. Da saß es, hörte den Lärm und freute sich, daß seine böse Feindin Schläge
bekam.
»Siehst du wohl«, sagte die Ameise, als Wackelohr mit dem Bonbon im Maule ankam, »man muß sich nur nicht so anstellen, es
war gar nicht so schlimm. – Du hast doch nicht etwa ein Stückchen abgebissen?« Und sie sah den Bonbon mißtrauisch an. Aber
der war in Ordnung; obwohl Wackelohr ihn im Maule getragen hatte, hatte es nicht einmal mit der Zungenspitze daran gerührt.
Nun wollte es aber auch zum Lohn für all seine Mühe den Weg zum schönen Mäuserich wissen.
»Der ist ganz einfach«, sprach die Ameise. »Du weißt doch, oben auf dem Dachboden hält der Hausherr sich Tauben, die den ganzen
Tag frei ein- und ausfliegen, soviel sie nur wollen. Bitte eine der Tauben, dich auf ihrem Rücken mitzunehmen – das sind freundliche
Vögel, sie werden es schon tun.«
Dies schien dem Mäusecken ein guter Rat, und gleich schlüpfte es die Treppe hinauf in den Taubenschlag. Auch die Ameise ging
eilends heim, denn sie wollte rasch all ihre Schwestern zusammenrufen, damit jede noch vor Morgen ein Stücklein Bonbon heimtrug.
|18| »Ruckediguck – Guckediruck«, schwatzten die Tauben noch in ihrem Schlag, obwohl es schon ganz dunkel war. Sie besprachen sich,
wohin sie am nächsten Morgen fliegen wollten, um Futter zu suchen. Im Garten am See waren Erbsen gelegt, aber es war die Frage,
ob man sie bekam, denn dort trieb ein großer, gelber Kater sein Unwesen, der gar zu gerne Täubchen aß. »Guckediruck«, sagten
die Tauben, »mit den Katzen wird es schlimmer und schlimmer – daß die Menschen solch wilde Tiere überhaupt dulden! Ruckediguck!«
»Das sage ich auch«, sprach die Maus höflich unter der Tür. »Mich hätte heute abend auch beinahe die Hauskatze erwischt, hätte
nicht ein Stuhl freundlich für mich geknarrt. Das angstvolle Leben in diesem Hause ist mir ganz leid – will nicht eine so
freundlich sein, mich morgen früh auf ihrem Rücken zum Hausdach drüben zu tragen?«
»Ruckediguck!« riefen die Tauben erschrocken. »Ein Dieb ist im Schlag. Sicher will er unsere Eier austrinken.«
Aber das Mäusecken redete ihnen gut zu, daß es keine böse Absicht auf die Eier habe, sondern nur darum bitte, auf einem Taubenrücken
zur andern Straßenseite getragen zu werden. »Ruckediguck«, sagten die Tauben da. »Wenn es so ist und du unsern Eiern nichts
tust, so wollen wir dir gefällig sein. Aber jetzt ist die Schlagtür schon zu – komm morgen mit dem frühesten wieder. Ruckediguck!«
Da bedankte sich das Mäusecken Wackelohr höflich und ging in seinem Loch unter dem Küchenschrank schlafen. Es träumte aber
die ganze Nacht von dem schönen Mäuserich. –
Unterdessen hatte die Katze Keile bekommen und war vor die Schlafzimmertür gesetzt, zur Strafe, weil sie der Hausfrau ins
Bett gesprungen war. Da saß sie nun
Weitere Kostenlose Bücher