Geschichten von der Bibel
engagiert worden, er hatte sich mit der Macht arrangiert – für gutes Geld! –, und er ließ sich täglich von der Macht demütigen – für gutes Geld! Aber er war ein Hellseher, der Hellseher schlechthin, und auch wenn sein Einfluß in letzter Zeit geschwunden war, Malul hatte nicht vergessen, was für Referenzen dieser Bileam ben Beor vorzuweisen hatte, und auch wenn der Pharao infolge seiner geringen Selbsteinschätzung dazu neigte, als gering zu achten, wer ihm schmeichelte, hatte er dennoch bisher keinen Anlaß gehabt, an den hellseherischen Fähigkeiten des Bileam ben Beor zu zweifeln.
Malul nahm dem Kind die Krone weg und setzte sie wieder auf sein Haupt.
»Wer spricht aus dir«, fragte er Bileam ben Beor, »der Eifersüchtige oder der Hellseher? Der Schmeichler ist es wohl nicht.«
»Du wiegst dein Unglück auf deinem Schoß«, sagte Bileam ben Beor.
»Dieses Kind soll mein Unglück sein?«
Und Bileam ben Beor wiederholte: »Du wiegst dein Unglück auf deinem Schoß!«
»Jag Bileam ben Beor aus dem Haus!« riefen Alparanith und Bithja, und die Amme nickte dazu. Die Frauen ekelten sich vor dem Mann aus Gold, haßten ihn, verachteten ihn wegen seiner Schmeicheleien.
»Wenn er bleibt, werde ich dein Haus wieder verlassen«, sagte Bithja. »Und mein Kind kommt mit mir.«
Bileam ben Beor sagte nichts mehr. Er stand bewegungslos wie eine Statue, das Bild eines lächelnden Götzen.
»Warum brauchen wir überhaupt beim Mittagessen, wenn wir hier sitzen, eine Krone auf dem Kopf?« wollte Alparanith schlichten. »Jedes Kind greift nach glitzernden Dingen! Und deine Krone glitzert nun einmal, und dieses Kind kennt keinen Unterschied, weiß nicht, was Gold ist, greift einfach nach dem, was mehr glitzert. Würde dein Löffel mehr glitzern als deine Krone, es hätte nach dem Löffel gegriffen.«
Aber Malul war verunsichert: »Und wenn es doch ein Zeichen ist?«
»Sicher«, sagte Bileam ben Beor, »die Krone des Pharaos glitzert mehr als der Löffel des Pharaos. Aber glühende Kohlen glitzern mehr als die Krone. Holt eine Schale mit glühenden Kohlen! Dann werden wir sehen.«
»Was soll das für eine Prüfung sein!« rief Bithja.
»Wenn Moses nach der Krone greift, hat Bileam ben Beor recht, wenn er nach den Kohlen greift, verbrennt er sich!«
Aber Malul hatte sich von seinem Schmeichler verunsichern lassen. Er liebte das Kind. Aber noch mehr liebte er seine Macht. Eine Schale mit den glühenden Kohlen wurde auf den Tisch gestellt, die Pharaonenkrone daneben gelegt.
Und der kleine Moses? Ehe man es sich versah, griff er in die Schale, holte ein Stück glühende Kohle heraus und steckte es sich in den Mund.
Es heißt, das sei der Grund dafür gewesen, warum Moses eine schwere Zunge gehabt habe. Moses war sein Leben lang kein geschickter Redner. Er hatte einen klaren Verstand, war wie keiner in der Lage, Entschlüsse zu fassen. Aber er konnte nicht gut reden. Darum hat er überallhin seinen Bruder Aaron mitgenommen. Manche vermuten, Moses selbst habe die Geschichte mit der glühenden Kohle erfunden, um eine Begründung für sein rhetorisches Untalent zu haben. Wie auch immer – die kleine Geschichte ging jedenfalls in den Sagenschatz der Hebräer ein.
Malul kümmerte sich wenig um Politik, sie interessierte ihn nicht, hatte ihn im Grunde nie interessiert. Er gab Befehle, forschte aber nicht nach, ob sie auch tatsächlich ausgeführt wurden. Wohl und Stärke des Landes waren ihm kein Anliegen.
Bileam ben Beor hatte zwar an direktem politischem Einfluß verloren, aber es gelang ihm, durch Intrigen, Einschüchterung und Erpressung der Beamtenschaft zu bestimmen, was im Reich geschah. Er war es, der die Befehle des Pharaos weiterleitete, und wenn die Worte des Pharaos aus dem goldenen Mund des Hellsehers kamen, waren es nicht die gleichen Worte, die durch seine goldenen Ohren gegangen waren. Wenn Malul auf Anraten seiner Frau und seiner Tochter die Abschaffung der Fron verordnete, dann hieß das aus dem Mund Bileam ben Beors Verschärfung der Fron. Bileam ben Beor schirmte das Haus des Pharaos von allen Informationen ab. Und so wußten auch Bithja und Alparanith nicht, was in Ägypten tatsächlich vor sich ging.
Zur Zeit der Kindermorde hatte sich Bithja Informationen von außen verschafft, sie hatte niemandem am Hof ihres Vaters vertraut, hatte sich in einfache Kleider gehüllt und war unter die Leute gegangen, hatte heimlich die Wohnviertel der Hebräer besucht und sich selbst ein Bild gemacht. Sie war
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