Geschichten von der Bibel
Habseligkeiten ausgebreitet hatten. Sie verkauften alles, was sie besaßen, oder tauschten es gegen Brot, gegen Öl, gegen Wein. Die Frauen weigerten sich, sich zu waschen, sie wollten es nicht besser haben als ihre Männer, denn sie liebten ihre Männer.
Moses ging hinter seiner Schwester her, ging zwischen staubigen Mauern, wo die Kinder an den Tagen Schatten suchten, während ihre Eltern arbeiteten – wenn sie überhaupt noch Eltern hatten.
»Nicht einen Tag Ruhe haben die Männer«, sagte Mirjam. »Der Lohn ist zu gering, um davon leben zu können. Und wer unter der Fron zusammenbricht, bekommt gar keinen Lohn mehr. Auch die Frauen müssen arbeiten und können sich nicht um die Kinder kümmern. Und Frauen, die für die Arbeit zu schwach sind, sind gezwungen, ihren Körper zu verkaufen. Und wenn eine Frau alt ist und allein ist und nicht mehr begehrenswert ist, dann stirbt sie.«
»Der Pharao weiß das nicht«, stammelte Moses.
»Du nimmst ihn in Schutz«, sagte Mirjam.
Und sie hatte recht. Moses nahm ihn in Schutz, den Herrn von Ägypten. Er, Moses, war des Pharaos geliebter Sohn. So hatte ihn Malul genannt, als er ein Kind war, und so nannte er ihn immer noch.
Und Malul sah keine Veranlassung, dem Hofstaat zu verschweigen, daß er Moses als seinen Erben eingesetzt hatte, Moses sollte Maluls Nachfolger werden.
»Erzieht ihn nach meinem Vorbild«, ermahnte er die Lehrer, »so wie ich nach dem Vorbild meines Großvaters erzogen wurde.«
Freilich, Malul war launisch, und was er heute förderte, konnte er morgen mit Haß verfolgen. Aber die Liebe zu Moses dauerte nun schon seit vielen Jahren an, und wer immer noch darauf hoffte, es sei doch nur eine vorübergehende Laune, der wurde enttäuscht.
Malul hatte zwei Söhne, aber die interessierten ihn nicht, er ließ sie nicht an seiner Mittagstafel sitzen. Ob sie eifersüchtig waren, ob sie die Bevorzugung des Findelkindes ihrer Schwester verletzte, kümmerte ihn nicht.
»Nicht die Natur«, pflegte Malul zu sagen, »schreibt dem Pharao vor, wer sein Sohn ist, sondern einzig sein Wille.«
Wie reagierte Alparanith darauf, die Mutter der Ungeliebten? Es ist nicht bekannt. Manche behaupten, auch sie habe den Moses mehr geliebt als ihre eigenen Söhne.
Und Moses? Er genoß die Liebe des Pharaos. Er war nicht arrogant, benutzte seine Erhöhung nicht, um andere zu erniedrigen, machte sich gern zum Fürsprecher, wann immer einer einen Wunsch an den Pharao hatte – aber er ließ sich doch gern verwöhnen, sonnte sich in der Liebe des Herrschers, ließ sich gern schmeicheln und nannte es eine Selbstverständlichkeit, daß ihm jeder Wunsch auf der Stelle erfüllt wurde. Wer kann das einem jungen Mann verübeln?
»Du nimmst den Pharao in Schutz«, sagte Mirjam. »Aber vergiß nicht: Die Fron war seine Idee, und daß sie nicht aufgehoben wurde, ist seine Schuld, denn er ist der Herr, und auch wenn der Herr nicht weiß, was hinter seinem Rücken geschieht, so ist es doch seine Schuld.«
Moses kehrte nicht in das Haus des Pharaos zurück. Was er gesehen hatte, würde sein Leben verändern. Er wollte allein sein. Er war verwirrt. Er blickte auf seine Existenz, wie einer von außen in ein hell erleuchtetes Zimmer blickt; wie einer, der in der kalten Nacht steht, auf die schaut, die drinnen im Warmen lachen. Und er beneidete den, der er gewesen war, er beneidete ihn um seine Unwissenheit.
»Komm zu uns«, sagte Mirjam zu ihrem Bruder. »Du findest ein Bett im Haus deiner Eltern.«
Aber Moses wollte allein sein. Er ging die ganze Nacht und ging den ganzen Tag, und die Welt, die er sah, sah er zum ersten Mal. Weit ins Land hinein ging er, besuchte andere Städte und Dörfer.
»Die Menschen warten auf dich«, hatte Mirjam zum Abschied gesagt. »Das Volk Israel ruft nach dir.«
»Niemand kennt mich«, hatte ihr Moses geantwortet. »Was redest du da, Mirjam! Ich höre niemanden nach mir rufen. Wenn sie rufen und schreien, dann, weil sie von den ägyptischen Soldaten geschlagen werden. Wo ist das Volk Israel? Ich sehe nur verzweifelte Männer und Frauen ohne Hoffnung und Kinder ohne Liebe. Wenn diese Menschen auf etwas warten, dann auf den Tod.«
»Du wirst ihnen Hoffnung geben!« hatte Mirjam ihm nachgerufen. »Du! Du, Moses! Du wirst ihnen die Verzweiflung nehmen!«
»Das kann ich nicht!« hatte Moses gesagt und hatte seiner Schwester den Rücken gekehrt.
»Du kannst es, Moses! Gott hat dich geschickt!«
Ohne ihr noch einmal Antwort zu geben, war Moses
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