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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Erzengel Gabriel gewarnt, dachte sie. Das hatte er aber nicht getan. Und er war ihr mehrere Male in den letzten vier Jahren erschienen. Nicht nur, um ihr eine Botschaft zu bringen, manchmal war er im Traum zu ihr gekommen, weil er sich mit ihr unterhalten wollte, manchmal stand er nur da, sagte gar nichts, hielt inne in seinem engelhaften Dasein.
    Mirjam blickte Bithja gerade in die Augen – nicht kampflustig, wie es ihre Mutter getan hätte, wenn sie es getan hätte –, vertrauensvoll und zweifelsfrei war Mirjams Blick.
    Und sie antwortete: »Ich liebe dieses Kind wie meinen Bruder. Warum sollte ich weinen? Du wirst gut für ihn sorgen. Und dann wird er zu uns zurückkehren.«
    Von nun an sorgte Bithja für die Erziehung »ihres« Kindes.
     
    Der kleine Moses war der Sonnenschein im Haushalt des Pharaos.
    Zur Zeit der Kindermorde war Pharao Malul ein sehr einsamer Mann gewesen. Die drei Frauen, die er liebte – seine Gattin, seine Tochter, seine Amme –, sprachen nicht mehr mit ihm. Wenn er den Raum betrat, gingen sie. Er aß allein. Er schlief allein. Er badete allein.
    Allein meinte: Sein Herz war allein. Sonst hatte er durchaus Gesellschaft. Zumindest einer war dauernd in seiner Nähe, nämlich Bileam ben Beor, der Superstar unter den Hellsehern. Aber den liebte Malul nicht. Den bezahlte er. Und er hatte ihn nicht gerufen, damit er ihm die Zukunft voraussage. Er hatte ihn als Schmeichler an den Hof geholt. Und Bileam ben Beor mußte sich gewaltig anstrengen, wollte er mit seinen Schmeicheleien die Liebe von Gattin, Tochter und Amme kompensieren.
    Ja, die Zeit der Kindermorde war eine düstere Zeit gewesen. Malul sprach von seiner traurigen Zeit. Und er meinte damit nicht die Trauer der Mütter und Väter, deren Kinder erschlagen worden waren, sondern er meinte seine Trauer. Weil er in dieser Zeit allein gegessen und allein gebadet und allein geschlafen hatte.
    Aber nun war alles anders. Alles war wieder wie früher. Besser als früher. Um die Mittagstafel saßen zur Rechten des Pharaos seine Gattin Alparanith, seine Tochter Bithja und die Amme. Zu seiner Linken saß der Schmeichler Bileam ben Beor, eckig, golden, wie angeschraubt. Aber Malul gegenüber, so daß er ihm immer in die Augen sehen konnte, hockte der kleine Moses auf seinem Stühlchen, der Sonnenschein. Und ganz egal, was nun dieser Moses war, ein Israelitenkind oder ein Ägypterkind, und wenn er vom Ende der Welt gekommen wäre, er war der Liebling des Pharaos. Malul war vernarrt in den Knaben.
    Die Augen des kleinen Moses müssen es dem Pharao besonders angetan haben.
    Immer wieder sagte Malul: »Komm über den Tisch zu mir, mein kleiner Stern! Setz dich neben meinen Teller und schau mich an!«
    Dann stemmte sich Moses auf die breite Tafel, kroch zwischen den Fleischtöpfen hindurch und setzte sich auf das Kissen, das der Pharao neben seinem Teller bereit hielt. Und wenn Malul gegessen hatte, breitete er die Arme aus, und Moses ließ sich auf den Schoß des Pharaos fallen. Und nicht selten kam es vor, daß Malul mit dem Kleinen auf dem Teppich herumrollte und dabei kicherte und lachte und quietschte, als wäre er selbst nicht älter als der kleine Moses.
    Bileam ben Beor warnte: »Wenn irgend jemand deinen Untertanen erzählt, wie du dieses Hebräerkind behandelst, dann werden sie sicher den Respekt vor dir verlieren.«
    »Was soll das heißen!« rief Malul. »Erst war man böse auf mich, weil ich die Hebräerkinder unfreundlich behandelt habe, jetzt ist es nicht recht, wenn ich sie freundlich behandle!«
    Eines Tages kroch Moses wieder über den Tisch auf den Schoß des Pharaos, und an diesem Tag hatte Malul Lust gehabt, beim Mittagessen seine Krone auf dem Kopf zu tragen, und die Krone glitzerte und funkelte, denn sie war aus purem Gold und mit Edelsteinen besetzt. Da griff Moses danach, zerrte sie vom Haupt des Pharaos und steckte seinen Kopf hinein.
    Bileam ben Beor sprang auf und rief: »Pharao, denk nicht, das sei ein Zufall! Das ist ein Zeichen! Dieses Kind wird nach deiner Macht greifen!«
    Malul aber lachte. »Du fürchtest dich vor einem Kind? Und du willst ein Zauberer sein?«
    »Dieses Kind«, verkündete Bileam, und er legte alles Gold seiner Kehle in die Stimme, »dieses Kind ist offensichtlich dein Liebling, aber es ist ein Nachfahre Abrahams, und Abraham war als Kind der Liebling von König Nimrod, und als er ein Mann war, hat er Nimrod besiegt. Das vergiß nicht, Pharao!«
    Bileam ben Beor war zwar von Malul als Schmeichler

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