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Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Titel: Geschwister - Liebe und Rivalitaet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Petri
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Reaktionsweisen waren, die immer wieder ihren Umgang mit Menschen erschwerten und die in letzter Konsequenz auch für ihren Entschluss verantwortlich waren, nach der Scheidung mit ihren Kindern alleine zu leben. Wie sehr sie darunter litt, zeigte ihre Motivation zur Teilnahme an der Gruppe. Dass die Aufdeckung ihres Geschwisterkonfliktes erst den Schlüssel zum Verständnis der Probleme bot, die sie eigentlich in die Therapie geführt hatten, war das ebenso überraschende wie erfreuliche Ergebnis der Gruppenarbeit. Für den geschulten Leser ist es fast überflüssig zu erwähnen, dass Ingrid in den auslaufenden Stunden der Gestaltgruppe des Öfteren von ihrem neuen Freund sprach und nicht ausschloss, in einiger Zeit mit ihm zusammenzuziehen.
    Wie kann die Versöhnung mit einem Geschwister in einer unlösbar erscheinenden Streitsituation aussehen, wenn man den ersten Schritt – die Versöhnung mit sich selbst – geleistet hat? Sicher ist dazu nicht immer eine Therapie oder eine andere Form angeleiteter Selbsterfahrung notwendig, auch wenn diese dabei eine große Hilfe sein können. Bei genügender Bereitschaft zur kritischen Selbstreflexion und bei einer inneren Motivation zur Verständigung gelingt es vielen Menschenauch aus eigener Kraft, neue Wege zu finden. Da uns aber die Erziehung innerhalb und außerhalb der Familie bei der konstruktiven Lösung von Konflikten in der Regel im Stich gelassen hat, fehlt es häufig an der ausreichenden Fantasie über das »Wie«. Deswegen möchte ich an dieser Stelle einige konkrete Anregungen geben, die mir hilfreich erscheinen, solange sie nicht als mechanische Rezepte oder als Aufforderung zu einem veränderten »Verhaltenstraining« verstanden werden. Ohne inneres Bedürfnis und eine tiefer liegende, wenn auch verdrängte Fähigkeit zur Geschwisterliebe werden solche Bemühungen scheitern. In diesen Fällen wird man realistisch einschätzen müssen, dass kein Mensch zu einer lebendigen Geschwisterbeziehung »gezwungen« werden kann und dass es auch zwischen Geschwistern Antinomien geben kann, die sich beim besten Willen nicht auflösen lassen. Allerdings fällt die Einschätzung darüber oft nicht leicht. Ein entscheidendes Kriterium bei der Frage, ob die Entzweiung der Geschwister auf einem verdrängten Konflikt oder auf einer unaufhebbaren Antinomie basiert, scheint mir das Vorhandensein oder das Fehlen eines Leidensgefühls zu sein. Solange man unter einer verlorenen Geschwisterbeziehung leidet, kann man von einem verdrängten Konflikt ausgehen. Hier würde schon die Aufhebung des eigenen Leidens den Versuch einer Verständigung rechtfertigen, um einer eventuellen seelischen Erkrankung vorzubeugen.
    Wie können die konkreten Schritte zur Versöhnung aussehen?
    Ingrid wählte die Briefform als ersten Schritt der Wiederannäherung. Wenn man den Brief genauer liest, entdeckt man, dass Ingrid mehr über sich als über die Schwester schreibt. Dabei gibt sie sich in all ihren negativen Gefühlen von »Hass«, »Hochmut«, »Stolz« und »Neid« zu erkennen. Sie klagt die Schwester nicht an, sondern nennt nur Gründe, mit denen sieihre eigenen Gefühle erklärt. Aber sie spricht auch von ihrer Enttäuschung über die Entwicklung, von ihrer frühen Liebe, von den noch vorhandenen positiven Gefühlen und ihrem Wunsch nach Aussöhnung und Nähe. Und sie »bittet« Elli um einen neuen Anfang.
    Briefe gehören zu den persönlichsten Botschaften, die Menschen aussenden und empfangen können. Deswegen waren sie in früherer Zeit ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur, wovon die vielen veröffentlichten »Briefwechsel« berühmt gewordener Menschen zeugen. Leider sind sie im Zeitalter der neuen Medien stark außer Mode gekommen. Gerade aber in Zeiten von Krisen – und jede Geschwistertrennung stellt eine solche dar – überwinden viele Menschen ihr Vorurteil, »keine Briefeschreiber« zu sein. Spontan schreiben sie sich von der Seele, was sie bedrückt, ob an Eltern, Freunde oder, wie häufig, an Geschwister. Ob als Hilferuf oder nur als Mitteilung gedacht, erlauben solche Briefe eine Offenheit und Ehrlichkeit, wie sie im direkten Gespräch oft nicht gewagt werden. So wird der Brief zu einem einzigartigen Kommunikationsmittel, das beides in idealer Weise verbindet – die benötigte Distanz bei gleichzeitig größter Nähe.
    Bei der Versöhnung von Geschwisterkonflikten sind Briefe erste Versuche der Verständigung, bei denen die eigene Verwundung und Schwäche nicht mehr zugedeckt

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