Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johano Strasser
Vom Netzwerk:
können, liefern wir uns erst recht dem Schicksal aus. Vielleicht werden wir geltend machen können, dass der eigene Anteil an unserem Versagen eher gering ist, dass wir nicht absehen konnten, wozu das, was wir taten, führen musste; vielleicht wird man uns mildernde Umstände einräumen. Dennoch müssen wir für unser Handeln und Nichthandeln, für unsere Fehler und Irrtümer geradestehen, die eigenen Unzulänglichkeiten ertragen, uns mit unserem Scheitern abfinden lernen. Und wenn wir Schuld auf uns geladen haben, müssen wir mit den Vorwürfen der anderen und den eigenen Gewissensbissen fertig werden.
     
    Das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit und der mit der Freiheit unauflöslich verbundenen Verantwortung für sich selbst und andere macht das Leben der Menschen zu einem jederzeit vom Absturz bedrohten Drahtseilakt. Kein Wunder, dass sie von Ängsten heimgesucht werden, dass sie vorsorgend sich gegen alle möglichen Gefahren zu wappnen suchen, sich mit anderen zusammentun, um die vielfältigen Risiken, denen sie ausgesetzt sind, zu minimieren. Der Mensch hat von Natur aus keinen schützenden Panzer, kein wärmendes Fell, kein furchterregendes Gebiss oder krallenbewehrte Tatzen, mit denen er seine Feinde in die Flucht schlagen kann, und seine Schnelligkeit und Ausdauer reichen im Ernstfall nicht aus, sich den Nachstellungen von Raubtieren zu entziehen. Anders als dem Tier fehlt dem Menschen auch die zuverlässige Anleitung durch Instinkte. Der Mensch ist in vieler Hinsicht ein Mängelwesen, und er ist sich seines Ausgeliefertseins aufgrund seiner mangelhaften natürlichen Ausstattung schmerzhaft bewusst.
     
    Sobald im Menschen das Selbstbewusstsein erwacht, ist es normalerweise um seine Sicherheit, auch um seine Selbstsicherheit
geschehen. Kaum dass er sich an eine Unternehmung wagt, malt ihm seine Fantasie tausend mögliche Gefahren, tausend Möglichkeiten des Scheiterns aus. Ihn befallen Zweifel, ob der Weg, den er beschreitet, der richtige ist, ob die Wahl der Mittel, die er getroffen hat, ihm zum Vorteil gerät. Er erwägt alternative Möglichkeiten des Handelns und kann sich lange nicht für eine von ihnen entscheiden. Und wenn er sich entschieden hat, befallen ihn Zweifel an der Richtigkeit der getroffenen Entscheidung. Auf sich allein gestellt, ist er allzu oft ratlos. Darum hält er sich an andere, tut, was die anderen in vergleichbaren Situationen tun, bespricht sich mit ihnen, holt sich Rat bei einem Weisen, einem Orakel, einem guten Freund, einer Autorität, einem Fachmann, verlässt sich darauf, dass das, was sich in der Vergangenheit bei anderen als richtig erwiesen hat, auch für ihn in der gegebenen Situation das Richtige ist, wählt das Bewährte. Aber auch das weiß er längst: Das Bewährte kann das Falsche sein, wenn die Bedingungen sich geändert haben. Ganz lassen sich die Zweifel niemals ausräumen.
     
    Gerade weil der Mensch seine eigene Existenz von Anfang an als prekär erlebt, ist er seit jeher bemüht, seine eklatanten Mängel erfindungsreich auszugleichen, das, was die Natur ihm verwehrt hat, die gedankenlose Instinktsicherheit des Tiers, durch Fantasie, durch Technik und Organisation wettzumachen. In dem Maße, in dem ihm das gelingt – und die Erfolge auf diesem Weg sind in der Tat erstaunlich –, neigt er allerdings dazu zu vergessen, dass sich an seiner existenziellen Grundkonstellation trotz aller Anstrengungen zur Kontrolle des Schicksals, trotz des Schutzgürtels der Institutionen, mit dem er sich im Laufe der Geschichte umgeben hat, nichts verändert hat. Wir können uns über die condition humaine nicht erheben, unsere Stellung in der Welt bleibt prekär, wir sind zur Freiheit verdammt und zum Irrtum, wir sind sterblich und träumen dennoch immer wieder ausschweifend über unsere Verhältnisse, als wären wir es nicht.

     
    Der antike Prometheus-Mythos deutet den Zwiespalt in der condition humaine als Konflikt zwischen den Menschen und den Göttern. Prometheus, der das Feuer vom Himmel holt und es zu den Menschen bringt, der Mensch, der sein Los in die eigenen Hände nimmt und mit Hilfe seines Verstandes sich die Kräfte der Natur zu unterwerfen trachtet, um so seine Lebensbedingungen zu verbessern, macht sich der Hybris, der Anmaßung und des Ungehorsams gegenüber den Göttern schuldig und wird schrecklich bestraft. Im Volksmärchen vom Butt lebt diese Vorstellung fort: Ilsebill, die sein will wie Gott, verliert alles bereits Gewonnene und landet wieder im

Weitere Kostenlose Bücher