Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
dem schmalen Korridor und warteten auf Instruktionen. Nicht alle hatten gedient; einige waren einfach nicht statutenkonform, genau wie ich. Aber wir alle hatten unsere Gründe, hier zu sein.
Mein Herz stolperte kurz, als Houston zur Seite trat und den Blick auf Chase Jennings freigab, der drei Meter entfernt an der gegenüberliegenden Wand lehnte. Seine Hände steckten bis zu den Handgelenken in seinen Jeanstaschen, und durch die Löcher in seinem abgewetzten Pullover lugte ein weißes Unterhemd hervor. Von seiner Kerkerhaft in der MM -Basis waren nur wenige Spuren geblieben, ein dunkler Halbmond unter einem Auge und ein schmaler Streifen Narbengewebe auf dem Nasenrücken. Er war gerade von der Nachtschicht als Wache im Außenbereich des Gebäudes zurück; ich hatte ihn nicht hereinkommen sehen.
Als er mich sah, wanderte sein Mundwinkel kaum wahrnehmbar nach oben.
Ich senkte den Blick, als mir bewusst wurde, dass sich meine Lippen ebenso verhielten.
»Also gut, seid mal ruhig«, setzte Wallace an, und seine Stimme klang wieder gewohnt ruppig. Er zögerte, tippte mit dem nun schweigenden Handfunkgerät an sein Bein. Für einen Moment sah ich das schwarze Tattoo an seinem Unterarm, das unter seinem ausgefransten Ärmel hervorlugte.
»Was ist passiert?«, fragte Riggins, der eigentlich immer misstrauisch, wenn nicht vollkommen paranoid war. Seine Finger hatte er über dem dosenförmigen Kopf gefaltet, als fürchtete er, die Decke könnte plötzlich nachgeben.
»Gestern Abend ist der halbe Platz ohne Rationen geblieben.« Wallace’ Miene wurde noch finsterer. »Sieht aus, als würden unsere blauen Freunde Waren einbehalten.«
Mitleid war ein rares Gut. Die meisten von uns schalteten gleich auf Zorn um. Wir alle wussten, dass die MM Lebensmittel hatte; unsere Kundschafter hatten zwei zusätzliche Laster von Horizons – der von der Regierung eingesetzte Nahrungsmittelversorger – gesehen, die erst gestern in der Basis eingetroffen waren.
»Wenn die glauben«, sagte Houston wütend, »sie könnten die Stadt räumen, haben sie Pech gehabt. In der Zeltstadt werden die Leute zuerst verhungern, und sonst können sie nirgends hin.«
Er hatte recht. Als die großen Städte im Krieg zerstört oder evakuiert wurden, waren die Leute ins Landesinnere migriert, um in Orten wie Knoxville oder meiner Heimatstadt Louisville nach Nahrung und Unterkunft zu suchen. Doch sie hatten nur ein absolutes Minimum vorgefunden – Suppenküchen und Vagabundensiedlungen wie die Zeltstadt, die einen großen Teil der Nordseite des Stadtplatzes einnahm.
»Danke, Houston«, entgegnete Wallace. »Ich glaube, genau das ist der Punkt.«
Ich schauderte. Chase und ich hatten das Wayland Inn nicht verlassen, seit wir uns vor beinahe einem Monat dem Widerstand angeschlossen hatten. Falls das überhaupt möglich war, dann sah es in der Stadt inzwischen noch trostloser aus als zu dem Zeitpunkt, zu dem wir sie das letzte Mal gesehen hatten.
»Also«, fuhr Wallace fort, »Billy hat gestern ein Funkgespräch über eine bevorstehende Einberufung empfangen, die auf dem Platz stattfinden soll. Wir wissen nicht, wann, aber es wird bald sein, und jeder, der sich verpflichtet, wird eine Prämie bekommen.«
»Ich habe keine Prämie bekommen«, flüsterte jemand.
»Rationen, Dummkopf«, murmelte Sean.
Ein kollektives Stöhnen erfüllte den Korridor. Die Soldaten stellten zusätzliche Nahrungsmittel in Aussicht, um mehr Soldaten zu rekrutieren. So würden sie in einer Woche eine komplette neue Armee zusammenbekommen.
»Und natürlich Straferlass für Verstöße gegen die Statuten.« Wallace lächelte zynisch, und das Stöhnen wurde lauter.
Heutzutage gab es nicht viel Arbeit. Alle Unternehmen wurden einer Hintergrundprüfung unterzogen, was bedeutete, dass Arbeitssuchende sich konform zu den Moralstatuten verhalten sollten – einer Liste von Verordnungen, die Frauen sämtliche Rechte nahmen, eine »heile« Familie anordneten und Dinge wie Scheidung, Widerspruch gegen die Regierung und natürlich uneheliche Geburten – was auch auf mich zutraf – untersagten. Das war von jeher die primäre Rekrutierungsstrategie der MM gewesen: Männer, die aufgrund ihres Vorlebens keine Arbeit fanden, konnten immer noch ihrem Land dienen. Und wenn sie dafür ihre Seelen verkaufen mussten. Soldaten wurden wenigstens bezahlt.
»Und was machen wir nun?«, fragte Lincoln.
»Nichts«, sagte Riggins. »Wenn wir bei so etwas eingreifen, räuchern die die ganze Stadt
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