Gesicht im Schatten: Idylle - Stalking - Mord
Kontakte des
Defibrillators sicherten, aufzubrechen und zogen dann Dutzende von Medikamenten
auf. Eine der Schwestern blickte sich scharf um. „Alle, die nicht unbedingt
hier sein müssen, verlassen jetzt bitte den Raum!“, knurrte sie. Sie meinte
damit Medizinstudenten und Schwestern in der Ausbildung. Als diensthabende
Ärztin blickte ich vom EKG zum Patienten, dann zu den anderen Ärzten und den
Schwestern. Die Schwestern hatten dem Patienten das Klinikhemd ausgezogen und
brachten ihn in eine Lage, die eine bessere Blutversorgung der Venen sicherte.
Bei solchen Wiederbelebungsmaßnahmen ging es um Sekunden. Ich versuchte dem
Patienten Blut abzunehmen. Beim fünften Versuch eine Nadel in der Vene des
Patienten zu versenken, hatte ich endlich Erfolg. Ich nahm Blut ab, das seine
dunkelrote Färbung getauscht hatte gegen Schwarz. Ich gab die Probe einer
Schwester, die sie ins Labor brachte. Inzwischen war die Kammertachykardie
übergegangen in ein Kammerflimmern und ich beschloss mit den Stromstößen zu
beginnen. Ich würde mit 200 Joule beginnen und notfalls konnte ich noch zwei
Mal erhöhen, erst auf 300 Joule und ein letztes Mal auf 360 Joule. Bevor ich
die Defibrillatorkontakte auf die Brust des Patienten setzte, vergewisserte ich
mich, dass niemand den Patienten oder die Trage berührte, denn die Stromstöße
sind so stark, dass der Herzrhythmus eines anderen in einen bedrohlichen
Zustand geraten kann. Ich rief laut: „Achtung! Schock! Weg vom Bett!“ und ein
kräftiger Stromstoß durchschoss den Körper des Mannes. Die grüne Linie auf dem
EKG zeigte jedoch nur schwache Bewegung an. Ich wiederholte die Prozedur mit
einer höheren Joulezahl, aber das Ergebnis war das gleiche. Nach 30 Minuten gab
es keine Hoffnung mehr.
„Wir
machen Schluss“, sagte ich.
Der Boden
war übersät mit EKG-Ausdrucken, einzelnen verstreut umherliegenden Nadeln und
Spritzen. Das Laken auf der Trage war blutverschmiert und es waren ovale Brandmale
auf der Brust des Mannes sichtbar.
Ich war
schweißgebadet und bevor ich mich umzog, gab ich einer Schwester noch die
Anweisung, in etwa einer Viertelstunde die Angehörigen des Mannes anzurufen und
mich mit ihnen zu verbinden.
Ich
verschwand schnell unter der Dusche und zog mir anschließend frische
Klinikkleidung an. Die Aktion hatte eine knappe Stunde gedauert und ich hatte
dabei bestimmt gut 1 Liter Flüssigkeit verloren.
Die Verbindung mit der Ehefrau wurde zu mir
durchgestellt. Ich stellte mich vor und erklärte ihr, dass ihr Mann einen
Herzstillstand erlitten hatte und wir alles versucht hatten, sein Leben zu
retten, aber leider ohne Erfolg. Es folgte eine tiefe Stille am anderen Ende
der Leitung. Kurz darauf hörte ich ein leises Wimmern und Schluchzen. Ich
sprach der Frau mein Beileid aus und versuchte tröstende Worte zu finden. Als
Notärztin muss man sich Zeit nehmen, Angehörige zu trösten. Man ist oftmals der
erste Kontakt und die erste Schulter, die ein Angehöriger im Augenblick des
Verlusts so nötig braucht. Zum Schluss versicherte ich ihr, dass ihr Mann nicht
gelitten hatte und bot ihr an, in die Klinik zu kommen, um von ihrem Mann
Abschied zu nehmen.
Der Rest des Nachmittags
bestand aus Standardbehandlungen, so dass ich es tatsächlich kurz nach 17.00
Uhr schaffte, die Klinik zu verlassen. So konnte ich mein Versprechen, Amelie
um halb sechs Uhr bei den Schröders abzuholen, einhalten. Ich hielt bei
Schröders vor dem Haus und öffnete die Heckklappe meines Scenic. Danach ging
ich zur Haustür und klingelte. Hinter der mattierten Glasscheibe konnte ich
Amelie schon ahnen, die sich vor lauter Freude ständig um sich selber drehte.
Die Tür ging auf und Herr Schröder kam mit einer sehr stürmischen Amelie vor
die Tür. Er hatte sie am Halsband gepackt, weil sie vor lauter Freude kaum zu
halten war. Wir machten beide einen fliegenden Wechsel, so dass ich Amelie zu
packen bekam und sie ins Heck meines Autos springen ließ.
„Tschüss
mein Schatz, mach es gut“, sagte Herr Schröder zum Abschied und drückte Amelie
ein letztes Mal.
„Vielen
Dank und noch einen schönen Abend. Morgen früh kommen wir dann wieder. Bis
dahin, tschüüüss.“
Ich
sprang in mein Auto und fuhr zusammen mit Amelie nach Hause.
Das Auto
parkte ich wie immer unter dem Carport. Ich ließ Amelie aussteigen und wir
gingen gemeinsam zum Hauseingang. Schon wieder meinte ich im Vorbeigehen eine
Bewegung am Fenster der Wohnung von Herrn Krautmann gesehen zu haben. Ich
schaute genauer hin,
Weitere Kostenlose Bücher