Geständnisse eines graumelierten Herren
Selbsthilfe zu bestehen, ein Vorgang, der heute mit sogenannter Kreativität simuliert wird.
Der Mensch, so meinte er, sei für das Leben, das zu führen seine Technik ihm ermöglicht, nicht degeneriert genug. Sonst hätte er bestenfalls noch zwei Zehen.
Am Samstagabend hatte Lukas ein Buch über alpenländische Bauernhöfe entdeckt und sich darin festgelesen. Als er am Sonntag erwachte, setzten sich die Bauern bereits zum Mittagessen. Nach dem Rasieren prüfte er seine Schreinerarbeit. Der Leim war trocken, er entfernte die Schraubzwingen und nahm den neuen Deckel auf den Gang zum Wasserholen mit. Köstlicher Tee und ein geruhsamer Sonntag! freute er sich. Wenig essen, viel lesen!
„Guten Tag!“ sagte eine fremde Stimme, als er gerade den аlten Deckel aufstemmte. Hinter ihm strahlte ein strammer Noch-nicht-Fünfziger mit Krawatte, Bügelfalten und glänzenden Schuhen. Er befinde sich auf Tour durch seinen Wahlkreis und weil das Wetter so schön sei, habe die Familie beschlossen, seine ehemalige liebe Kollegin und Parteifreundin auf ihrem Bauernhof zu besuchen.
Es tue ihm leid, daß sie eigens herausgefahren seien, erwiderte Lukas, höflich und ehrlich zugleich und, wie er bei seinen Erläuterungen mit einem Seitenblick feststellte, vergeblich. Um die Ecke des Hofs kam eine aufgetrachtete Mutti mit dem Gesellschaftsaufsteigerlächeln der Politikersgattin und zwei, aus Karrieregründen noch nicht schulpflichtigen Kindern, bereit für einen Sonntag auf dem Lande. „Das ist ja ein Traum! Schnuckchen!“ rief sie und sagte beim Vorstellen „Angenehm.“ Lukas betonte, er sei nicht der Besitzer. Das mache doch gar nichts, ließ sie ihn wissen. Danielas Abwesenheit störte angesichts des respektablen Anwesens niemanden. Sie wollten alles sehen, möglichst gleich. Während der Hofhüter ungefrühstückt die Räume zeigte — er wußte nicht wie er das einem guten, alten Parteifreund verwehren sollte — , konnten sich die Kinder in der würzigen Landluft austoben, Schafe scheuchen, indem sie seinen frischgezimmerten Deckel auf sie zurollten, daß Gattinmutter juchzte „Wo hat man denn das in der Stadt?“
So lästig Lukas der Besuch war, er bestätigte ihm eine Männchenmaler-Beobachtung, derzufolge fremder Besitz vor allem zwei Reaktionen auslöste: Ist er gewollt, auf Imponieren angelegt, werden die Besucher immer stiller, deprimierter, — ist er gewachsen, schwelgen sie, als wären sie gerade eingezogen.
Nach der Führung äußerte die Gattin, deren Redefluß auf eine hochtourige Schilddrüse schließen ließ, wofür auch ein besonderer Eigengeruch hinter dem Parfum sprach, Hunger. „Ja, mach uns was Gutes, Lisbeth!“ bat der Gatte. Sie gehörte zu jenen, die triebhaft in die Töpfe anderer schauen, und die man Hausfrauen nennt. Kein Sonntagsdirndl konnte sie hindern, sie mußte kochen.
Was hätte dem ein Haushüter ohne Frühstück entgegenzusetzen, dessen letzte warme Mahlzeit infolge einer Liaison zwischen Faulheit und dem Wunsch abzunehmen, achtundvierzig Stunden zurücklag?
Schon klapperten Töpfe. Gier trieb ihr rote Flecken ins hausbackene Dekolleté und Glanz auf die Nase. Gattin Lisbeth werkelte mit einem Ausdruck letzter Entschlossenheit, der den Männchenmaler mit dem Überfall versöhnte: Es würde reichlich zu essen geben.
Abgeordneter Schnuckchen blätterte indes auf der Eckbank mit den unartikulierten Fingern eines Priesterseminaristen in einem Fotoalbum. Männer können zu Kapaunen verblassen, wenn ihre Mutterfrauen den Kochlöffel schwingen.
Die Schwingende hatte sämtliche Vorräte durchgepflügt und nur das Beste vom Besten in die Pfanne gehauen.
„Schaut, das ist Tante Daniela!“ belehrte der Pappi weiterblätternd die beiden Spitzenleistungen seiner Karriere.
In Lukas wurden Hütersymptome stark. Er mußte nachschauen, was der da anschaute, sich ohne zu fragen irgendwo herausgezogen hatte und rutschte zu ihnen auf die Bank. Das Album, mittendrin aufgeschlagen, gehörte vermutlich Daniela, die einmal Fotografin gewesen war. Renate hatte nicht das Sitzfleisch, Bilder einzukleben. Lukas griff nach der Schweinslederschwarte und begann von vorn. Er hatte sich nicht geirrt. Es begann mit beruflichen Portraits Danielas, aus der Serie Damen der Gesellschaft in ihrem Heim, seinerzeit für eine Illustrierte gemacht. Alle schlank und edel, so gut es ging, darunter die Reiterin und Golferin Lilly Müller-Passavant, einst Lukas’ große Liebe aus dem Industriellenmilieu. Er hielt inne.
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