Geständnisse eines graumelierten Herren
den Ausschließlichen, die alles ganz tun und mit allem. An wen erinnerte sie ihn nur?
Detlef entgingen die Kontakte. Er beschäftigte sich mit seinem Sprößling Adrian und schaute kein einziges Mal herüber, — eine merkwürdige Familie. Wider Erwarten aßen und tranken sie nach dem verhockten Tag, als müßten sie Bandwürmer miternähren, denen die Landluft Appetit gemacht hat. Beim Sohn, dem stillen Selbstbeschäftiger, kam noch das Wachstum hinzu.
Lukas folgte einem Einfall und meinte übergangslos: „Renate wird irgendwann anrufen. Soll ich ihr was bestellen?“
Der Arzt für Rechtsleiden antwortete mit der Gegenfrage. „Was soll ich ausrichten, wenn sie mich anruft?“
Aha! Platzhirsch knört.
Lukas lachte ihn an. „Sagen wir beide, was uns Spaß macht.“ Der Spaß war damit vorbei. Das Schweigen ließ sich nur mit Kauen entschuldigen, oder indem man es, wie Georgia, betonte. „Diese Stille! Unheimlich. Und da sitzen Sie ganz allein auf dem Hof, Abend für Abend, ohne Abwechslung?“ „Stille beflügelt die Phantasie“, antwortete er, „Abwechslung ist viel langweiliger.“
Diesmal kam der prüfende Blick von ihr. Mit Wärme. „Ein völlig neuer Aspekt. Ich weiß nicht, ob wir das aushalten würden. Was meinst du, Detlef?“
Ohne es zu wollen, kam ihm Lukas zuvor. „Fliegen Sie nach Schottland, jetzt im Herbst, mieten Sie sich ein Häuschen im Hochland, Alleinlage, offener Kamin mit Torf beheizt, Kerzenbeleuchtung, Wasser vor der Tür und bleiben Sie über den Winter, wenn’s um Mittag hell und um vier wieder dunkel wird. Wenn Sie das durchhalten, ohne dem Whisky zu verfallen oder einander umzubringen, können Sie auf dem Land leben. Überall in der Welt.“
Beide lachten laut. Detlef zum ersten Mal.
„Der Rat gehört in die Zeitung!“ meinte er. „Vielleicht finden wir dann doch noch einen Hof.“
Das war der Höhepunkt an Verständigung. Ungeniertes Gähnen Adrians, aus Sauerstoffmangel vermutlich, leitete den Aufbruch ein.
„Fundament vertiefen — Dach verschalen!“ wiederholte der Vater die Lektion, während der Sohn dem Hofhüter die Hand geben mußte. Und mit einem angehängten Dankeswort, strebten die beiden zum Wagen. Georgias Abschied stand noch aus. Sie drückte Lukas’ Oberarm „Wenn Sie in die Stadt kommen, besuchen Sie uns, Herr Dornberg. lg war sehr schön.“
Seinen Griff um die Schulter nahm sie als Versprechen; Scheiben vibrierten von der unmusischen Schwingung des Mercedes-Einspritzmotors im Leerlauf. War dahinter noch ein anderes Geräusch?
Das stellte sich erst nach Schließen der Hoftür heraus: Telefon.
Lukas meldete sich mit dem Hofnamen. Da wurde am andern Ende aufgelegt.
Entweder bin ich zu spät gekommen oder man hat eine andere Stimme erwartet. Wie dem auch sei.
In einem der zahlreichen Nebenräume des Hofs, die Freiheit bedeuten, nicht nur weil es den Städtern an ihnen mangelt, hatte Lukas das Fahrrad entdeckt, bei dem sich Rost und Gebrauchstüchtigkeit die Waage hielten, ein Vehikel, das er weder schonen, noch mit unnötigem Kraftaufwand vorwärtsbewegen mußte. Er schätzte das Gefährt der Kindheit noch immer als die Mitte der Fortbewegungsweisen. Dem Autofahrer fehlt in seiner rollenden Rüstung der unmittelbare Kontakt zur Umwelt. Je schneller er ans Ziel kommt, desto mehr entgeht ihm unterwegs. Auf leichter Sohle wiederum wechselt die Szenerie für das Aufnahmevermögen zu langsam. Das macht ungeduldig. Man nimmt zwar viele Einzelheiten wahr, scheut jedoch Umwege, sie sich einzuprägen.
Ganz anders beim Fahrrad. Aus eigener Kraft mit sich und der Welt im Gleichgewicht, haben Kontakt und Aufnahme das rechte Maß, bringt Abschweifen zusätzlichen Gewinn und wird nicht als Umweg empfunden.
Den Sattel auf Beinlänge eingestellt, strampelte Lukas in Sachen Heimatkunde los. Erste Endeckung: Hinter dem Pacherhof führte ein geteerter Feldweg am Waldrand entlang zum Dorf. Bei der Abzweigung einer kleinen Waldstraße erinnerte ein alter Wegweiser mit der Aufschrift zum schloss daran, daß ehemalige Gliederungen hier noch nicht völlig überwunden sind.
Der Weg ist kürzer als über die Hauptstraße! stellte er am Dorfrand fest, wo er eine alte Frau um Auskunft bat. Mit dem Bescheid „Dort, wo baut werd’!“ fand er sich zurecht. Noch bevor er um das ehemalige Feuerwehrhaus abbog, hörte er den Betonmischer. Ein Mann mit markantem Schädel schippte Sand hinein und goß Wasser nach. Da kam Maxi aus der Baustelle. Bei Tag wirkte er noch
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