Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig
folge ihm in sein kleines Büro neben der Trauerhalle.
»Sehen Sie, hier ist die Wand mit der Tafel. Auf dieser Tafel sind alle Gräber und Namen eingezeichnet. Da müsste ich jetzt bei 76 den Meier ausradieren und die Frau Schellinger hinschreiben, und bei 78 muss ich die Frau Schellinger ausradieren und den Herrn Meier hinschreiben.«
»Ja, und würden Sie das tun?«
»Kein Problem«, das ist alles, was er sagt. Dann radiert und schmiert er, die Zunge zum Mundwinkel herausgestreckt, so anstrengend ist dieser hoheitliche Verwaltungsakt für ihn. Schon nach knapp zehn Minuten ist er fertig, tupft sich den Schweiß von der Stirn, kratzt sich – man weiß schon, wo – und sagt: »So!«
Ich bin erleichtert und will mich gerade bei ihm bedanken, da zieht er die Augenbrauen hoch und sagt: »Dann müsst ihr die alte Frau aber auch einen Tag früher beerdigen. Das geht ja der Reihe nach.«
Gut, das bekomme ich hin, es kommt ohnehin bloß ein älteres Ehepaar aus der Nachbarschaft, die Betreuerin und der Pfarrer.
Zwei Tage später ist die Beerdigung von Oma Gretel. Auch ich bin gekommen – irgendwie ist sie mir doch ans Herz gewachsen, und ich bin der Einzige, der weiß, dass sie so im Sarg liegt, dass ihr Kopf ganz leicht nach links zeigt. So schaut sie wenigstens zu ihrem Paul, der jetzt genau neben ihr liegt, so wie sie es sich gewünscht hat.
Jäger und Sammler
Die allermeisten Leute sterben heutzutage ja im Krankenhaus oder Pflegeheim. Nur die wenigsten sterben zu Hause. So spielt sich der Bestatteralltag oft zwischen weißen Krankenhauskacheln und in den betonierten Kellern von Altenheimen ab. Kommt man aber mal zu den Familien ins Haus, dann kann man oft einiges erleben und berichten.
F rau Klemperer kommt und hat Sterbepapiere in der Hand – man muss dann nicht fragen, was sie will, das sehen wir sofort. Ihr Bruder ist verstorben, gestern Abend, in seiner Wohnung. Soweit nichts Ungewöhnliches, doch ich merke gleich von Anfang an, dass da noch irgendetwas ist, aber sie rückt mit der Sprache nicht heraus.
Eine Feuerbestattung soll es werden, keine Trauerfeier, direkt zum Einäschern.
Später dann, wenn die Urne beigesetzt wird, soll ein Pfarrer kommen, es werden eh nur zwei oder drei Leute am Grab sein.
»Mein Bruder hat ganz alleine gelebt.«
Ja und? Nun komm endlich raus mit der Sprache, ich merke doch, dass da noch was ist.
»Seine Lebensumstände waren, sagen wir es mal so, etwas ungewöhnlich.«
Hopp!
»Haben Sie so eine Leichenbahre aus Stoff?«
Ich glaube zu wissen, was sie meint, und nicke nur.
»Das wird nämlich so eine Sache mit dem, wenn Sie den nachher aus der Wohnung holen.«
Mir bleibt nichts anderes übrig, als sie weiterhin erwartungsvoll anzuschauen.
Ja, der Bruder habe im Gartengeschoss gewohnt, was ja für gewöhnlich nichts anderes heißt, als dass die Wohnung im Keller liegt, aber Fenster hat, die Tageslicht hereinlassen. Aber wir sollen bitte auf so einiges gefasst sein, der Bruder sei eine Art Sammler gewesen. Am besten sei es, wenn wir genau um 8 Uhr hinfahren, weil dann auch der Verwalter kommt. Frau Klemperer will später wiederkommen und noch das Stammbuch bringen.
Unsere Männer fahren los, es sind so knapp zehn Kilometer bis zur angegebenen Adresse. Sie haben die Scherentrage, eine Falttrage und einen Tragesack dabei. Normalerweise sollte es nur eine knappe Stunde dauern, bis sie wieder zurück sind, doch nach 45 Minuten rufen sie an und fordern Unterstützung an. »Wir brauchen hier noch zwei Mann.«
Manni, der Fahrer, und ich fahren los; wir gehen davon aus, dass der Verstorbene ziemlich korpulent ist. Doch als wir dort ankommen, erwartet uns etwas ganz anderes. Schon an der Haustüre begrüßt uns ein unfreundlicher Kerl mit den Worten: »Das wird aber auch Zeit! Glauben Sie, ich habe hier ewig Zeit, oder was?«
Wir nicken ihm nur zu und gehen an ihm vorbei. Vier, fünf Stufen sind es, die nach unten führen. Unten gibt es zunächst einmal eine ganze Batterie von Stromzählern an der Wand, links ist eine Wohnungstür, rechts steht eine offen. Wieder ist der Verwalter da, er sprüht uns mit einer Sprayflasche zwischen den Füßen herum und schiebt uns in Richtung Wohnungstür.
Wenn ich schreibe, dass die offen steht, dann ist das nur die halbe Wahrheit, denn sie steht nur halb offen und lässt sich auch keinen Millimeter weiter öffnen. Der Flur hinter der Tür ist mit Stapeln von Zeitungen und Zeitschriften ausgefüllt, die bis unter die Decke
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