Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
pensionierten MDR-Gründerzeit-Kollegen genauso geht. Sie haben mich mehrfach darauf angesprochen.
Natürlich müssen sich Nachfolger profilieren. Natürlich müssen sie zeigen, dass sie jetzt das Heft in die Hand nehmen und eigene Akzente setzen. In unserem Fall war das doppelt naheliegend. Die Zeit der sogenannten Skandale musste endlich zu Ende gehen, der MDR wieder ein stubenreiner öffentlich-rechtlicher Sender werden. Alles richtig und nachvollziehbar. Aber wenn man dann in Interviews liest, wie verdorben das Unternehmen doch ist, wie von Grund auf alles anders werden muss, wie dringend man neue Strukturen und neue Inhalte und neue Personen braucht, dann spürt man, ob man will oder nicht, einen kleinen Knacks im Herzen. Eine narzisstische Kränkung, wenn man es gediegener ausdrücken will. In meinem Fall ging das immerhin so weit, dass ich ernsthaft entschlossen war, auf meine offizielle Verabschiedung zu verzichten. Ich hatte den Brief mit der Absage schon geschrieben, dann kam es mir aber doch zu kindisch vor, und ich schickte ihn nicht ab. Ich bin zu der Verabschiedung gegangen und habe mich loben lassen. Ministerpräsident Haseloff hat das getan, Frau Wille hat es getan und, was mich besonders gefreut hat, Monika Piel, die damalige ARD-Vorsitzende, zu der ich immer ein herzliches Verhältnis hatte.
Der Stachel saß trotzdem tiefer, als ich gedacht hatte. Nochmals: Die Neuen haben alles Recht der Welt, es anders zu machen als die Alten, und die Kälte und Entschlossenheit, mit der es geschieht, ist auch ein StückFührungsqualität. Dass dabei manches Neue nicht ganz so neu ist, wie es tut, gehört dazu. Auch die Fernsehwelt kann man nicht jährlich neu erfinden, und auch aufgewärmte Parolen können richtig sein. »Mehr Regionalität!«, »Junge Zuschauer gewinnen und die alten nicht vertreiben«, »Quote und Qualität«. Da kann man nur applaudieren. Weniger applausträchtig fand ich die Geschichtsklitterung, mit der die organisatorischen Veränderungen beim Kinderkanal, die ich natürlich sofort nach dem Aufdecken des Betrugs eingeleitet hatte, jetzt als Beginn einer neuen, moralisch besseren Ära verkauft wurden. Oder …, aber ich höre auf, ich lasse mich hinreißen.
Das alles klingt jetzt kritischer, als es gemeint ist. Mehr als die Sache selbst wundert mich eigentlich meine Empfindlichkeit. Meine Fähigkeit, die Dinge nicht emotional, sondern phänomenologisch zu sehen, ist hier offenbar an ihre Grenze gestoßen. Wenn ich an meine eigene Karriere zurückdenke, muss ich zudem einräumen, dass ich in der Rolle des Neuen auch nicht immer besonders taktvoll war. Als ich Frau Dr. Mösler, die ich geliebt und geschätzt habe, als Hörfunkdirektorin des Bayerischen Rundfunks ablöste, sollte das Büro frisch gestrichen werden. Ihr letzter Arbeitstag war ein Montag, die Maler wollten aber auch schon am Montag kommen. Ich hatte mir nichts dabei gedacht und sie kommen lassen. Aber genau das war der Fehler: Ich hatte mir nichts dabei gedacht. Die Möslerin war tief gekränkt. Sie fühlte sich hinausgeworfen. Nicht einmal ihren letzten Arbeitstag konnte ich abwarten. Oder später, als ich ARD-Vorsitzender wurde. Im Januar ging meine Amtszeit los. Im Dezember wollten die Zeitungen erste Interviews von mir. Wieder habe ich mir nichts gedacht und vollmundig erklärt, was jetzt alles dringend zu geschehen habe, wie man die alte ARD durch eine Reform zeitgemäß umgestalten müsse und überhaupt … Dass das meinenVorgänger, der ja noch im Amt war, kränken musste, auf diese Idee bin ich nicht gekommen. Ich kann ihn nur nachträglich um Nachsicht bitten. Es war so wenig böse gemeint wie heute der Putzeifer meiner Nachfolger. Der König ist tot, es lebe der König. C’est la vie, und irgendwann trifft es dann ja auch den neuen König oder die Königin.
Wie wird es weitergehen? Was wird noch kommen? Ich weiß es nicht. Als ich 1966 den Unfall hatte, lag die durchschnittliche Lebenserwartung für Querschnittgelähmte bei sieben Jahren. Inzwischen ist sie durch den medizinischen Fortschritt auf neunzehn Jahre gestiegen. Ich habe schon fünfundvierzig hinter mich gebracht, also schwer überzogen. Was will man mehr. Die Dinge hängen bei einem Rollstuhlfahrer in meinem Alter an dünnen Fäden. Ein kaputtes Gelenk, eine gerissene Sehne, und schon ist die Selbständigkeit dahin. Mit solchen Überraschungen muss man rechnen. Eines ist allerdings sicher: Als ich vor drei Jahren mit Else Buschheuer, die ich inzwischen
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