Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
Weggefährten im Kreis der Intendanten waren einer nach dem andern verschwunden. Jobst Plog, Fritz Pleitgen, Peter Voß, die alten ARD-Elefanten, dazu Günther Struve, der erfolgreiche Programmdirektor, wir hatten Schlachten geschlagen, nach außen und ab und zu auch gegeneinander, immer heftig, oft mit unübersehbarem Macho-Gehabe, aber auch mit Vergnügen und meist doch zum Wohl des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. »Die ARD«, hatte ich einmal an Fritz Pleitgen geschrieben, der als Chef des stärksten Senders gern den Chef des Ganzen spielte, »die ARD ist keine Armee, und Sie sind nicht Napoleon!« Auch Jobst Plog lieferte sich unvergessene Briefgefechte mit ihm. Jetzt waren sie alle in Pension. Als dann auch noch Thomas Gruber und Heinz Glässgen gingen und Fritz Raff starb, war es nicht mehr meine ARD. Nicht, dass die neuen Kollegen ihre Sache nicht gut gemacht hätten, im Gegenteil. Manches, was wir früher eher schleifen ließen, wurde jetzt ordentlich beraten und wasserdicht beschlossen. Bei den immer häufiger angesetzten Schaltkonferenzen hatte jeder jede Vorlage gelesen, und einige fanden, dass man auf Seite drei im vorletzten Absatz den zweiten Satz streichen könnte. Das musste sicher so sein. Ebenso bei den Gremien.Die Rundfunkräte wurden mächtiger und kompetenter. Thomas Gottschalks Definition als »Mischung aus Zentralkomitee und Elferrat« hätte jetzt nicht mehr ohne weiteres gepasst. Ich war, was die Umgänglichkeit der Gremien anging, besonders verwöhnt. Nach der Wende war mein Rundfunkrat ziemlich unpolitisch und ließ sich relativ leicht von mir begeistern. Jetzt kamen auch bei uns Persönlichkeiten zum Zug, die das Geschäft unter Machtgesichtspunkten betrieben und sich zur persönlichen Profilierung auch gerne einmal in den operativen Bereich einmischten, obwohl der ausschließlich der Geschäftsleitung des Senders zustand. Alles nicht schlimm, schon gar nicht beim MDR, aber angenehmer wurde das Tagesgeschäft dadurch nicht.
Ich kam schließlich zu dem Entschluss, dass das zwanzigjährige MDR-Jubiläum im Sommer 2011 ein angemessener Abschiedstermin wäre. Das wollte ich rechtzeitig im Jahr davor ankündigen, um den zuständigen Gremien genügend Zeit für die Nachfolgeregelung zu lassen. Dann kam der Skandal um den Kinderkanal dazwischen. In dieser Lage kann man keinen Rücktritt verkünden, da geht kein Chef von Bord. Ich ordnete die rigorose Aufklärung der Betrugsaffäre und die enge Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft an. Erst als die Angelegenheit in den Grundzügen geklärt war und die notwenigen Maßnahmen, die das in Zukunft verhindern sollten, auf den Weg gebracht waren, gab ich meine Absicht bekannt.
Am 26. Mai 2011 schrieb ich meinem Verwaltungsratsvorsitzenden, Herrn Dr. Schuchardt, dass ich Ende des Jahres aus dem MDR ausscheiden möchte. Ich informierte die Ministerpräsidenten, die Rundfunk- und Verwaltungsräte, die Mitarbeiter und schließlich die Presse.
Natürlich wurde spekuliert, dass ich wegen der KIKA-Affäre zurücktreten würde. Das war totaler Unsinn. Wegensolcher Schwierigkeiten streiche ich nicht die Segel. Und dem lieben Kollegen, der von »angeblich gesundheitlichen Problemen« schrieb, hätte ich gerne fünfundvierzig Jahre Rollstuhl gewünscht und ihn dann nochmals nach seiner Einschätzung gefragt.
Wie auch immer, jetzt ging der Kampf um die Nachfolge los, und zwar in voller Wucht. Schon nach meiner letzten Amtszeit waren Namen potentieller Nachfolgekandidaten gehandelt worden. Vor allem Bernd Hilder, der Chefredakteur der »Leipziger Volkszeitung«, ein renommierter Journalist, parteilos, aber eher dem konservativen Lager zugerechnet, früher einmal ARD-Korrespondent in Südamerika, also mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vertraut, war ein respektabler Kandidat, mit dem die drei damaligen Ministerpräsidenten leben konnten. Ich wurde gebeten, ihn zu fragen, ob er im Fall des Falles zur Verfügung stünde. Er stand. Das war 2008. Natürlich war sein Name jetzt sofort wieder im Spiel. In der Zwischenzeit hatte sich allerdings hausintern einiges getan. Karola Wille, die Juristische Direktorin des MDR und seit vielen Jahren meine Stellvertreterin, hatte sich nach langem Zögern durchgerungen, ihren Hut in den Ring zu werfen. Ich habe mit Wille eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet und sie als extrem tüchtig, zuverlässig und loyal schätzen gelernt. Meine Rede zu ihrem fünfzigsten Geburtstag war hart am Rand einer Liebeserklärung, und
Weitere Kostenlose Bücher