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Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Titel: Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mairisch
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hat die Hose offen, hält die Unterhose nach unten gezogen und zeigt mir seinen Pimmel. Er guckt mir fest und konzentriert in die Augen. Das macht Tom immer so, wenn er aufgeregt ist. Er ist als kleiner Junge, sieben Jahre ungefähr, die Treppe runtergefallen, und irgendwas in seinem Kopf ist damals kaputt gegangen, wegen der Schwellungen oder so. Ischämie. Unterversorgung des Hirns mit Sauerstoff.
    Ich kann mich an den Vorfall nicht erinnern. Aber früher hat Großmutter oft davon erzählt, vor allem Tom hat sie es erzählt. Dann hat sie seinen Kopf gestreichelt, die Narben, und gesagt, dass es ihr leidtut, dass sie nicht besser aufgepasst hat. Das meinte sie sehr ernst, glaube ich, auch wenn sie dabei immer fröhlich klang und gelächelt hat: »Aber bist ja unser Tom.« Wir hätten unten an der Treppe gespielt und sie habe in der Küche gestanden und gekocht. Wir seien dann, ohne dass sie es gemerkt habe, die Treppe hinauf und hätten oben rumgeturnt. Und dann habe sie es laut poltern hören. »Dieses Rumpeln, das werde ich nie vergessen, nie. Und wie ich sofort wusste: Da ist was Schlimmes passiert.« Dann habe sie mein Schreien gehört und sei ganz langsam, ganz vorsichtig, mit weichen Beinen aus der Küche in den Flur gegangen. Schritt für Schritt. Ich stand oben am Treppenabsatz, mit einem kleinen Spielzeugkran in der Hand, und habe erst geschrien und dann geweint. Tom lag auf einer der unteren Stufen, erzählte Großmutter, und habe keinen Ton von sich gegeben, es sei Blut aus seinem zerbrochenen Gesicht gelaufen und er sei bewusstlos gewesen, so hat sie es immer erzählt.
    Nachdem ich Tom lange genug in die Augen geguckt habe, seufzt er, nickt und packt seinen Pimmel wieder ein. Dann macht er die Hose zu, nimmt mich in den Arm und sagt so ernst er kann: »Elli, Elli.« Das ist mein Name und gleichzeitig ist er es nicht, denn wenn Tom »Elli, Elli« sagt, dann meint er mich damit nur ganz weit in der Ferne. »Elli, Elli«, Tom sagt das den ganzen Tag lang, wie ein Mantra. Wie das einzige Mantra, das er sagen kann oder wie das einzige, das hilft, bestimmt dreihundert Mal am Tag: »Elli, Elli.« Das kann einen verrückt machen an manchen Tagen, aber eigentlich finde ich es nett: Den eigenen Namen als Beruhigungsmelodie gesungen zu bekommen. Ja, wenn man gesungen sagt, hört es sich gleich freundlicher an.
    Tom sagt »Elli, Elli«, packt mich am Arm und zieht mich ins Wohnzimmer. Da sitzt Großmutter in ihrem Sessel. Vor ihr läuft der Fernseher, aber sie redet nicht wie sonst. Ich weiß nicht mehr genau, wann das angefangen hat. Irgendwann hat sie den Fernseher, die Stimmen, die Gesichter für Menschen gehalten, die in ihrem Wohnzimmer sitzen und sich mit ihr unterhalten und sie sich mit ihnen, sie hat unzusammenhängende Worte aufgesagt, so wie sie ihr durch den Kopf gingen und immer hat sie beim Fernsehen an ihrer Bluse gezupft, das war eine Art Beschäftigung, die ihr irgendwie wichtig war. Zum Glück war sie nicht kräftig genug, den Stoff zu zerreißen, wir hätten ständig neue Sachen kaufen müssen. Manchmal hat sie einen Knopf abbekommen und ihn sich in den Mund gesteckt, deshalb habe ich die Knöpfe mit Angelsehne angenäht, so fest es ging. Es war nicht aus ihr rauszubekommen, was sie meinte, da zu tun, manchmal ist sie richtig darin versunken, da gab es keinen Zugang mehr zu ihr.
    Jetzt brabbelt sie nicht, sie zupft nicht an ihrer Bluse. Sie sitzt nur. Den Blick starr zur Decke, der Mund offen. Tom steht neben mir, lacht laut in mein Ohr. Großmutter atmet nicht, schläft nicht. Ihre Papierhaut, weiß und dünn, sie sieht aus wie ein hässliches, verschrumpeltes Püppchen, den Kopf im Nacken. Mit ihren eingefallenen Lippen, den geröteten Augen. Ich stehe nur da und denke: Jetzt. Es ist so weit. Jetzt also. Und ich weiß sofort, was zu tun ist. Das ist mein erster Gedanke: Wie geht es jetzt weiter. Kein Chaos, keine Panik, kein Drama. Der Fernseher dudelt, Tom lacht und lacht, er brüllt fast und klopft mir auf der Schulter rum. Er ist völlig durch den Wind. Ich nehme ihn in den Arm und drücke so fest ich kann, und Tom lacht weiter, ich drücke und sage »Elli, Elli!«, und Tom sagt »Elli, Elli«, wie das Einzige, was hilft. Ich finde, ich sollte weinen, aber es passiert nicht, ich weiß nicht, woher ich die Tränen nehmen soll. Ich fasse Tom bei den Schultern. »Tom«, sage ich, »ich muss hoch, telefonieren. Passt du auf hier unten, ja?«
    Sein Mund bleibt wabbelig und dumm, aber er strengt

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