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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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verstaute das Glas wieder unter seinem Umhang.
    Mort und sein Lehrmeister wanderten um eine Ecke – und prallten gegen eine Wand aus purem Lärm.
    In dem großen Saal vor ihnen standen Dutzende von Personen unter einen dichten Wolke aus Rauch, und die Stimmen wehten bis zur hohen Decke empor, von der farbenprächtige Banner herabhingen. Auf einem Balkon versuchten drei Bänkelsänger, sich Gehör zu verschaffen. Ihre Bemühungen erzielten keinen Erfolg.
    Das Erscheinen des Knochenmannes blieb weitesgehend unbeachtet. Ein Wächter an der Tür wandte sich um, öffnete den Mund, klappte ihn wieder zu und runzelte verwirrt die Stirn. Einige Höflinge sahen in Tods und Morts Richtung, aber ihre Blicke glitten sofort weiter, als der gesunde Menschenverstand die von den Augen übermittelten Signale beiseite schob.
    WIR HABEN NOCH EINIGE MINUTEN ZEIT, verkündete Tod, trat an den nächsten Kellner heran und nahm ein Glas vom Tablett. ICH SCHLAGE VOR, WIR MISCHEN UNS UNTER DIE LEUTE.
    »Sie können mich ebensowenig sehen wie dich!« entfuhr es Mort. »Obgleich ich lebendig bin!«
    DIE REALITÄT IST NICHT IMMER DAS, WAS SIE ZU SEIN SCHEINT, sagte Tod. WENN DIE ANWESENDEN SOLCHEN WERT DARAUF LEGEN, MICH ZU ÜBERSEHEN – WARUM SOLLTEN SIE DANN AUF DICH ACHTEN? WIR HABEN ES MIT ARISTOKRATEN ZU TUN, JUNGE. SIE SIND DARAN GEWÖHNT, NICHT ALLES ZU BEMERKEN. WAS MACHT DIE AUFGESPIESSTE KIRSCHE IN DEM GLAS, JUNGE?
    »Mort«, sagte Mort automatisch.
    AUF DEN GESCHMACK DES GETRÄNKS HAT SIE ÜBERHÄUFT KEINEN EINFLUSS. WESHALB NIMMT JEMAND EINEN PERFEKTEN, TADELLOSEN DRINK, UM DANN EINE GEPFÄHLTE KIRSCHE HINEINZULEGEN?
    »Was geschieht jetzt?« fragte Mort. Ein betagter Graf stieß an seinen Ellbogen und sah sich mißtrauisch um, wobei er den Blick des Jungen mied. Nach einigen Sekunden hob er die Schultern und ging weiter.
    DAS HIER ZUM BEISPIEL, sagte Tod und stahl einen Appetithappen. ICH MEINE, ICH MAG PILZE, HÜHNCHEN UND VANILLECREME. NEIN, ICH HABE ÜBERHAUPT NICHTS DAGEGEN. ABER WARUM, BEI ALLEM HEILIGEN, MUSS MAN DIESE LECKEREIEN UNBEDINGT IN EIN TEIGSTÜCK PRESSEN?
    »Bitte?« Mort blinzelte.
    SO IST DAS EBEN MIT STERBLICHEN, fuhr Tod fort. IHNEN BLEIBEN NUR EIN PAAR JAHRE IN DIESER WELT, UND WAS FANGEN SIE MIT IHRER ZEIT AN? SIE VERSUCHEN DAUERND, SELBST DIE EINFACHSTEN DINGE KOMPLIZIERT ZU GESTALTEN. KOMISCH, NICHT WAHR? HIER, PROBIER EINE ESSIGGURKE!
    »Wo ist der König?« fragte Mort, reckte den Hals und starrte über die festlich gekleideten Männer und Frauen hinweg.
    DER TYP DORT DRÜBEN, MIT DEM BLONDEN BART, sagte Tod. Er klopfte einem Lakai auf die Schulter und nahm ein zweites Glas vom Tablett, als sich der Diener verblüfft umdrehte.
    Mort ließ den Blick durch den Saal schweifen, und schließlich sah er den Betreffenden. Er stand im Zentrum der Menge, beugte sich ein wenig vor und hörte einem recht kleinen Höfling zu. Der König war groß und untersetzt, hatte das phlegmatische, geduldige Gesicht eines Mannes, von dem man getrost ein Pferd kaufen würde.
    »Er scheint kein schlechter König zu sein«, sagte Mort. »Warum sollte jemand beabsichtigen, ihn zu ermorden?«
    SIEHST DU DEN BURSCHEN NEBEN IHM? DER KERL HAT EINEN SCHNURRBART UND LÄCHELT WIE EIN KROKODIL. Tod hob die Sense und zeigte damit in die entsprechende Richtung.
    »Ja.«
    ER IST DER VETTER DES KÖNIGS, DER HERZOG VON STO HELIT, erklärte Tod. KEIN BESONDERS FREUNDLICHER ZEITGENOSSE. TRÄGT GERN GIFT IN KLEINEN FLASCHEN MIT SICH HERUM. IM VERGANGENEN JAHR STAND ER IN DER THRONFOLGE AN FÜNFTER STELLE; INZWISCHEN NIMMT ER DEN ZWEITEN PLATZ EIN. MACHT ZIEMLICH SCHNELL KARRIERE, NICHT WAHR? Tod griff unter den Mantel und holte eine Lebensuhr hervor, in der schwarzer Sand durch ein Gitterwerk aus winzigen Eisenlanzen rann. Tod schüttelte den kleinen Behälter versuchsweise. ER KANN SEINE INTRIGEN NOCH DREISSIG ODER FÜNFUNDDREISSIG JAHRE LANG FORTSETZEN, stellte er seufzend fest.
    »Und er bringt dauernd irgendwelche Leute um?« fragte Mort. Er schüttelte den Kopf. »Es gibt keine Gerechtigkeit.«
    Tod seufzte erneut. NEIN, bestätigte er und reichte das leere Glas einem ziemlich verdutzten Pagen. ES GIBT NUR MICH.
    Er trat vor und zog sein Schwert, dessen Klinge im gleichen blauen Ton glühte wie die der Amtssense.
    »Ich dachte, du benutzt die Sense«, flüsterte Mort.
    MONARCHEN VERDIENEN DAS SCHWERT, antwortete Tod. DAS IST EIN – WIE HEISST ES SO SCHÖN? – KÖNIGLICHES VORRECHT.
    Mit der freien Hand tastete er in eine Manteltasche und

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