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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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hob König Olerves Lebensglas. In der oberen Hälfte kauerten sich die letzten Körner zusammen.
    PASS JETZT GUT AUF, sagte Tod. VIELLEICHT MUSST DU SPÄTER EINIGE FRAGEN BEANTWORTEN.
    »Warte«, preßte Mort hervor. »Es ist unfair. Kannst du ihn nicht verschonen?«
    UNFAIR? wiederholte Tod. WER HAT BEHAUPTET, BEI MEINEM JOB SPIELE FAIRNESS EINE ROLLE?
    »Nun, ich meine, wenn der andere Mann so gemein und durchtrieben ist…«
    JETZT HÖR MIR MAL GUT ZU, sagte Tod. VERGISS FAIRNESS UND SOLCHE SACHEN. IN UNSEREM BERUF DARF MAN KEINE STELLUNG BEZIEHEN; MAN MUSS OBJEKTIV BLEIBEN. MEINE GÜTE, WENN DIE ZEIT ABGELAUFEN IST, IST SIE EBEN ABGELAUFEN. NUR DARAUF KOMMT ES AN, JUNGE.
    »Mort«, sagte Mort und beobachtete die Menge.
    Und dann sah er sie. Ein zufälliges Bewegungsmuster im allgemeinen Gedränge schuf eine Gasse zwischen Mort und einem schlanken, rothaarigen Mädchen, das hinter dem König zwischen einigen älteren Damen saß. Die junge Frau war nicht wirklich schön: In ihrem Gesicht hatten sich zu viele Sommersprossen versammelt, und hinzu kamen einige Knochen, denen nichts lieber zu sein schien, als die blasse Haut zu durchstoßen. Doch ihr Anblick bewirkte einen Schock, der hinter Morts Stirn jähe Hitze entstehen ließ und die Produktionskapazität der Drüsen voll auslastete.
    ES IST SOWEIT, sagte Tod und stieß seinen Lehrling mit einem spitzen Ellbogen an. FOLGE MIR!
    Tod schritt auf den König zu und schloß die rechte Knochenhand fester um das Schwertheft. Mort blinzelte und setzte sich ebenfalls in Bewegung. Für einen Sekundenbruchteil begegnete das Mädchen seinem Blick – und sah sofort wieder zur Seite. Dann drehte es erneut den Kopf, und die Lippen formten ein entsetztes O.
    Morts Rückgrat schmolz. Er lief los, stürmte dem König entgegen.
    »Euer Majestät!« rief er. »Gebt acht! Ihr seid in großer Gefahr!«
    Die Welt verwandelte sich plötzlich in klebrigen Sirup. Wie in einem Hitzschlagwahn wallten blaue und purpurne Schatten heran, und die Geräusche verklangen allmählich, bis die Stimmen der Anwesenden nur noch leise flüsterten – es klang so, als raunten sie in einem beiseite gelegten Kopfhörer. Mort beobachtete, wie Tod gelassen neben dem König stehenblieb und…
    … den Balkon beobachtete.
    Mort sah den Schützen, die Armbrust, den Bolzen, der mit der Geschwindigkeit einer altersschwachen Schnecke heranglitt. Das tödliche Geschoß näherte sich dem König ganz langsam, aber Mort wußte, daß er nicht mehr rechtzeitig eingreifen konnte. Es schien Stunden zu dauern, bis er seine bleischweren Beine wieder unter Kontrolle brachte, und eine halbe Ewigkeit später gelang es ihm, beide Füße gleichzeitig auf den Boden zu setzen. Er stieß sich ab und erfuhr dabei das Beschleunigungsmoment einer eher faulen Kontinentalverschiebung.
    Während er durch die Luft schwebte, vernahm er die gleichmütige Stimme seines Lehrmeisters. MACH DIR KEINE HOFFNUNG – ES KLAPPT NICHT. ES IST NUR NATÜRLICH, DASS DU ES VERSUCHST, ABER DU WIRST KEINEN ERFOLG HABEN.
    Wie im Traum glitt Mort durch eine stille Welt…
    Der Bolzen traf ins Ziel. Tod schloß beide Hände um das Heft, holte mit dem Schwert aus und trieb die Klinge durch den Hals des Königs, ohne daß irgendeine Spur zurückblieb. Mort segelte weiterhin durch einen seltsamen Zwielichtkosmos und glaubte zu erkennen, wie ein phantomhaftes Etwas davonhuschte.
    Es konnte sich nicht um den König handeln, denn der stand wie festgewurzelt und starrte Tod mit wortloser Verblüffung an. Zu seinen Füßen zitterte ein schemenhaftes Etwas, und in weiter Ferne ertönten Schreie.
    EIN GUTER SAUBERER JOB, sagte Tod. MONARCHEN SIND OFT EIN PROBLEM. SIE WOLLEN UNBEDINGT AM LEBEN FESTHALTEN. GANZ ANDERS DER DURCHSCHNITTLICHE BAUER: ER KANN ES GAR NICHT ABWARTEN, INS JENSEITS ZU WECHSELN.
    »Zum Teufel auch, wer bist du?« entfuhr es dem König. »Und was tust du hier? Antworte gefälligst! Sonst rufe ich die Wäch…«
    Die Botschaft der Sehnerven erreichte schließlich die zentralen Bereiche des Gehirns. Mort war beeindruckt. König Olerve hatte viele Jahre lang auf dem Thron gesessen, und selbst als Toter wahrte er seine Würde.
    »Oh«, sagte er, »ich verstehe. Ich habe nicht damit gerechnet, dir schon jetzt zu begegnen.«
    EUER MAJESTÄT… Tod deutete eine Verneigung an. DIE MEISTEN LEUTE SIND ÜBERRASCHT, WENN SIE MICH SEHEN.
    Der König blickte sich um. In der Schattenwelt war es still und dunkel, doch irgendwo in der Ferne herrschte ziemliche

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