Gevatter Tod
für dich behalten«, riet er. »Damit bringst du die Leute nur durcheinander. Nun, wie wär's, wenn wir uns was in die Pfanne hauen, hm?«
Als sie Domino spielten, läutete die Glocke. Mort stand sofort auf.
»Bestimmt möchte er, daß sein Pferd vorbereitet wird«, sagte Albert. »Komm!«
Im dunkler werdenden Zwielicht gingen sie zum Stall, und Mort beobachtete, wie der alte Mann den Hengst sattelte.
»Er heißt Binky«, sagte Albert und zurrte den Gurt fest. »Was Namen angeht, scheint der Einfallsreichtum unseres Herrn ebenfalls begrenzt zu sein.«
Mort erinnerte sich an das Bild im Almanach seiner Großmutter – zwischen den Pflanzzeiten-Tabellen und der Übersicht mit den Mondphasen –, las in Gedanken noch einmal die Worte unter der furchteinflößenden Darstellung: Thod, Der Grohße Glaimacher, Kommt Zuh allen Mänschen. Er betrachtete jenes Bild häufig, während er versuchte, das Alphabet auswendig zu lernen. Es hätte nicht annähernd so beeindruckend gewirkt, wenn allgemein bekannt gewesen wäre, daß der Name des Feuerrosses ausgerechnet Binky lautete.
»Seelenfänger, Rachebringer oder Pechrabenschwarz klänge viel besser«, fuhr Albert fort. »Nun, unser Herr hat eben seine Launen, und damit muß man sich abfinden. Du freust dich schon auf den Ausflug, nicht wahr?«
»Ich glaube schon«, erwiderte Mort ungewiß. »Ich habe Tod noch nie bei der Arbeit zugesehen.«
»Nur wenige Leute bekommen Gelegenheit dazu«, sagte Albert. »Und die überwiegende Mehrheit von ihnen nie zweimal.«
Mort holte tief Luft.
»Was seine Tochter betrifft…«, begann er.
AH. GUTEN ABEND, ALBERT, JUNGE.
»Mort«, sagte Mort automatisch.
Tod betrat den Stall und bückte sich ein wenig, um nicht an die Decke zu stoßen. Albert nickte – ganz und gar nicht unterwürfig, wie Mort bemerkte. Es wirkte eher so, als sei er ein wenig außer Übung. Bei den seltenen Abstechern nach Schafrücken hatte Mort den einen oder anderen Diener kennengelernt, und Alberts Gebaren entsprach nicht den üblichen Mustern. Er verhielt sich so, als gehöre das Haus ihm und als sei der Eigentümer nur ein Gast auf der Durchreise, jemand, den man dulden mußte, so wie abbröckelnden Putz und Spinnen auf dem Klo. Tod machte sich nichts daraus. Albert und er schienen bereits über alles gesprochen zu haben, was eine Erörterung wert war; sie gaben sich einfach damit zufrieden, ihrer Arbeit mit einem Minimum an Unannehmlichkeiten nachzugehen. Mort verglich dieses Empfinden mit einem gemütlichen Spaziergang nach einem schlimmen Gewitter: Alles erweckt den Eindruck von Frische, und nichts ist besonders unangenehm; gleichzeitig spürte man, daß sich gewaltige Energien entladen haben.
Mort fügte seiner mentalen Liste von Absichten einen weiteren Punkt hinzu: Er nahm sich vor, mehr über Albert herauszufinden.
HALT DAS! verlangte Tod, drückte ihm eine Sense in die Hand und schwang sich auf Binkys Rücken. Sie wirkte ganz normal – abgesehen von der Klinge. Sie war so dünn, daß Morts Blick hindurchreichte, kaum mehr als ein blaßblaues Schimmern, das Flammen schneiden und Geräusche zerhacken konnte. Der Junge hielt das Instrument mit äußerster Vorsicht.
IN ORDNUNG, sagte Tod. STEIG AUF! ALBERT, DU BRAUCHST NICHT AUF UNS ZU WARTEN.
Das Pferd trabte über den Hof und schwebte dem – schwarzen – Himmel entgegen.
Der Leser mag mit einem grellen Blitz rechnen, damit, daß Sterne bunte Warpstreifen bilden. Vielleicht hätte die Luft Spiralen formen und sich in einen Funkenregen verwandeln sollen, wie es bei gewöhnlichen transdimensionalen Hypersprüngen geschieht. Aber der Protagonist dieser Szene ist der Tod. Er beherrscht die Kunst des nichtprotzerischen Reisens und kann ebensoleicht zwischen die Dimensionen kriechen wie durch eine geschlossene Tür gehen. Er braucht keine Spezialisten für spezielle Spezialeffekte.
In leichtem Galopp ritten Mort und sein Lehrmeister durch Wolkenschluchten und über die Hänge weit aufragender Kumulusberge, bis sich schließlich die watteartigen Schleier vor ihnen teilten. Tief unten strahlte die Scheibenwelt in hellem Sonnenschein.
ES LIEGT AN DER VARIABILITÄT DER ZEIT, erklärte Tod, als Mort eine entsprechende Frage stellte. SIE IST NICHT WEITER WICHTIG.
»Ich dachte immer, sie spiele eine große Rolle.«
MENSCHEN HALTEN DIE ZEIT FÜR BEDEUTSAM, WEIL SIE SIE SELBST ERFUNDEN HABEN, sagte Tod düster. Mort hielt diese Bemerkung für recht abgedroschen, entschied sich jedoch dagegen, seinem
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