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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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allein, da ihr einziger noch lebender Sohn in München wohne, sagte Frau Fendel dem Geistlichen Clemens Dillburg, als er sie wieder besuchte. Die Kraft ihres Glaubens schwanke wie draußen die Anzahl der Vorübergehenden: Manchmal sei schon das Knirschen der Joggersohlen auf dem Streugut eine Sensation, dann wieder kämen dicht hintereinander sieben Leute im Sturmschritt vorbei, so daß sie denke: Was spielt sich wohl ab, was versäumst du da irgendwo? Und ob er, Hochwürden Dillburg, begreifen könne, daß sie tatsächlich an ihrem Fenster gestern beobachtet habe, wie die Mutter von gegenüber mit sehr energischen Schritten auf die Mülltonne zugegangen sei und betont schwungvoll einen gelben Ball hineingesteckt habe, dann aber, kaum, daß sie im Haus verschwunden, von der anderen Seite ihr zehnjähriger Sohn herbeigelaufen sei, den Ball ohne Zögern wieder aus der Tonne geholt habe und ebenfalls, allerdings durch die Hintertür, mit ihm ins Haus entwichen sei. Und nun habe sie, Frau Fendel, tatsächlich über eine Stunde gewartet, ob da noch was passierte, ob die Mutter beim Ausleeren von Abfall das Fehlen des Balles bemerken, oder ob der Junge zur Täuschung der Mutter irgendwelches Zeugs in die Tonne stopfen würde. Habe über eine Stunde samt ihrer unsterblichen Seele gewartet.
    Da lächelte der gute Mann Clemens Dillburg, der wußte, wie sehr der Glauben bei den meisten eine Sache von Stimmungen ist, dem seine Kirche nachsichtig mit Glocken, Weihrauch und Kerzen zu Hilfe kommt. Er hätte beinahe ihre alte, zitternde Hand gestreichelt, tat es aber lieber nicht und verschwieg ihrauch, wie sehr sie ihn an die eigene, lang verstorbene Mutter erinnerte.
    Frau Fendel dagegen dachte, nachdem er gegangen war: Jetzt ist der Raum, in dem er gestanden hat, wieder leer. Zuerst habe ich mir vorgestellt, er würde von einem Menschen gefüllt, dann war einer da, jetzt ist er nicht mehr da, und ich stelle mir wieder vor, er würde ihn füllen.
    Bei anderen kommt es dahin, daß die Gegenstände, die sie einmal freuten, noch alle da sind, nur freuen sie sich nicht mehr daran.
Wohnzimmer
    Madrid. Eine mehrköpfige Familie aus Taiwan hauste über drei Wochen in aller Vollständigkeit zusammen, obschon drei der Angehörigen, nämlich der Vater und zwei Töchter, zu diesem Zeitpunkt bereits Leichen waren. Die Mutter hat mit ihren stark unterernährten drei lebenden Kindern die Wohnung offenbar kaum verlassen, nur ratlos bei den an einer Viruserkrankung Gestorbenen ausgeharrt und nicht gewußt, was sie tun sollte, in Madrid, in Spanien, wo alles, sobald sie sich aus der Wohnung traute, ganz anders war als zuhause. Vermutlich hat die Frau gehofft, auch der Rest der Familie würde bald innerhalb der vier Wände sterben, und alle Probleme wären auf diese Weise, ohne Vorwürfe von irgend jemandem, für immer aus der Welt geschafft und von ihr genommen. Sie wurde aber, bevor sie mit ihren Kindern sterben konnte, hinter den zugezogenen Vorhängen entdeckt.
    Es ist auch nicht sicher, ob sie den Namen der Stadt wußte, in der sie sich befand. Sie soll von »Europa« gesprochen haben.
Biologie
    Berlin. »In den Uferbereichen des Bracks typisch vorkommende Pflanzen sind Röhrichte und Großseggen. Manchmal werden sie von Gelber Schwertlilie, Schwanenblume und Sumpfcalla begleitet.Außerdem gibt es größerer Bestände von Teich- und Seerosen, und in den Erlenbruchwäldern findet man Bittersüßen Nachtschatten, Sumpfvergißmeinnicht und Weidenröschen«, erzählt der Orchideenliebhaber mit dem Zopf, der mit seiner Familie über Katja wohnt, der zur Zeit blonden Studentin im Treppenhaus.
    Und wenn du, sagt sich Katja und beginnt sich ein wenig vor seinen Augen zu räkeln, auch eine Frau und ein kleines Kind hast und so treuherzig sachlich aus der Wäsche kuckst, ich kriege dich! Und wenn ich dafür zeitweilig auf Biologie umsatteln muß, ich fresse dich! Nimm Gift drauf!
Jan Sykowa
    Ein Mann namens Jan Sykowa rührt seine Frau wegen seiner Herzensgüte, ja, wegen seines Herzens großer Güte unter den Menschen, deren Schlechtigkeit sich doch dem etwas schärferen Blick leicht offenbart. Rührt sie so sehr, daß sie manchmal wünscht, er wäre schon gestorben, damit ihm nichts mehr zustoßen kann in der so andersartigen Welt. Kürzlich ging er auf einem Waldweg in einem kleinen Naturschutzgebiet neben ihr und lächelte glücklich vor sich hin. »Woran denkst du?« fragte die Frau.
    »Ich habe mir vorgestellt, wie ich Dich mit bloßen Händen

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