Gewäsch und Gewimmel - Roman
reißt. Ob es nicht, sein letztes Wort dazu, das Beste sei, über diese Dinge den Mund zu halten und das Universum mit Schweigen zu ehren? Sie, Elsa, verwechsle wieder einmal ihr Mitgefühl mit ihrer Phantasie. Ob das alles vielleicht nur Halluzinationen eines unter den Lidern, in den Ohrmuscheln und Nasenlöchern von Juckreiz schwer Geplagten und hoch Gereizten seien?
Unbeirrt fährt Elsa fort. Es erweise sich, so Dillburg, durch die nicht ganz zuverlässige Stimme Winds hindurch, als das allesEntscheidende und Allerergreifendste: das Bewohnen des gesamten Raums zwischen Himmel und Erde mit einer unendlichen Fülle von Wesen, die sich ohne Ausnahme, und sei es unwissentlich und ob sie sich sträubten oder nicht, im allmächtigen Sog des auslöschenden, wiedergebärenden höchsten Lichts befänden.
»Schläfst du?«
Dann sei Dillburg, der die ganze Zeit in fragloser Festigkeit vor den Zuhörern gestanden habe, auf unvermittelt schwankenden Füßen sehr eilig, wohl um nicht in ein Schaukeln zu verfallen, die drei Stufen hoch zu seinen weiteren Handlungen im Hintergrund davongegangen.
Keine Antwort?
Das Internetkindchen
Noch ahnt es keiner. Ein Jahr später, im März, ist Finnland, der einst etwas steife Hobbyfotograf, im ehemaligen Reich von Herrn Scheffer zum ersten Mal mit einem silbernen Kinderwagen unterwegs. Er fährt sein metallisch gekleidetes Söhnchen spazieren. Stolz nennt er es aus gutem Grund »mein Internetkindchen«. Den kleinen Anzug hat die Großmutter geschickt, Astrophysikerin in Moskau, zusammen mit einem selbstgestrickten. Auf einer Weide steht ein wohlgerundetes, kraftvolles Pferd. Es sieht ohne mit der Wimper zu zucken geradeaus und trägt einen Maulkorb. Für Finnland eine unverständliche Novität! Der Zwerg in den Kissen kann das Ungewöhnliche noch nicht erkennen mit den schlafmützigen Äugelchen.
Plötzlich steht der frischgebackene Vater in freier Natur vor einer abgeschlossenen Tür!
Das Schutzgebiet ist in seinem schönsten Teil, dem partiell überfluteten Kernbereich mit den Trockeninseln voller Heidekraut, von hohem, weitmaschigem Draht eingezäunt. Man hat sich viel Mühe gemacht. Eine Tafel erklärt dem Wanderer, daßman auf diese Weise bis zum Spätsommer die Nist- und Brutplätze der Tiere vor Menschen und Hunden schützen wolle, und schlägt einen bisher nicht geöffneten Umweg vor.
»Dann ist doch alles gut ausgegangen«, sagt der anfangs verdutzte Finnland schließlich sehr fröhlich zu dem winzigen, in seinem Anzug aufblitzenden Kind. »Ich frage mich jetzt, ob wir Scheffers Pläne jemals kannten. Verdammt noch mal! Was, mein kleiner Sergej, hatte der Kerl hier eigentlich vor?«
Mit Dank an »Mito«
in Hamburg-Nienstedten.
Informationen zur Autorin
© Frank R. Max
Brigitte Kronauer, 1940 in Essen geboren, lebt als freie Schriftstellerin in Hamburg. Sie ist mit Romanen wie »Frau Mühlenbeck im Gehäus« (1986) und »Teufelsbrück« (2000) bekannt geworden.
Ihr Werk wurde unter anderem mit dem Fontane-Preis der Stadt Berlin, mit dem Heinrich-Böll-Preis, dem Hubert-Fichte-Preis und dem Joseph-Breitbach-Preis ausgezeichnet.
2004 erschien ihr von der Kritik gefeierter Roman »Verlangen nach Musik und Gebirge«. Im gleichen Jahr erhielt sie den Mörike-Preis der Stadt Fellbach für ihr Gesamtwerk zuerkannt, und 2004 den Grimmelshausen-Preis für den Roman »Teufelsbrück«.
2005 wurde ihr der Bremer Literaturpreis für den Roman »Verlangen nach Musik und Gebirge« verliehen.
2005 hat Brigitte Kronauer den Büchner-Preis der Darmstädter Akademie erhalten.
Das erzählerische Werk von Brigitte Kronauer ist bei Klett-Cotta erschienen.
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