Elementarteilchen
Michel Houellebecq Elementarteilchen
Michel Houellebecq Elementarteilchen
aus dem Französischen von
Uli Wittmann
Roman DuMont
Die Übersetzung wurde vom Ministère français chargé de la culture - Centre national du livre gefördert.
Die Originalausgabe erschien 1998 unter dem Titel Les particules éléme ntaires
bei Flammarion, Paris
©1998 Flammarion
Erste Auflage 1999
© 1999 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln Alle Rechte vorbehalten
Ausstattung und Umschlag: Groothuis & Consorten
Gesetzt aus der DTL Documenta und der News Gothic
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Satz: Greiner & Reichel, Köln
Druck und Verarbeitung: Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
ISBN 3-7701-4879-7
Vorrede
Dieses Buch ist in erster Linie die Geschichte eines Mannes, der während der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gelebt und den größten Teil seines Lebens in Westeuropa verbracht hat - im allgemeinen allein, wenn auch ab und zu im Kontakt mit anderen Menschen. Er hat in einer unseligen Zeit voller Wirren gelebt. Das Land, in dem er zur Welt kam, glitt langsam, aber unvermeidlich in die Wirtschaftszone der halbarmen Länder ab; die Menschen seiner Generation waren häufig vom Elend bedroht und verbrachten darüber hinaus ihr Leben einsam und verbittert. Gefühle wie Liebe, Zärtlichkeit und Brüderlichkeit waren weitgehend verschwunden; in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen erwiesen sich seine Zeitgenossen sehr häufig als gleichgültig oder sogar grausam.
Bei seinem Tod wurde Michel Djerzinski einhellig als Biologe allerersten Ranges angesehen, und man hatte ernsthaft daran gedacht, ihm den Nobelpreis zu verleihen; seine wirkliche Bedeutung sollte erst ein wenig später erkannt werden.
Zu Lebzeiten Djerzinskis war man größtenteils der Meinung, die Philosophie besäße keinerlei praktische Bedeutung, ja nicht einmal einen Gegenstand. In Wirklichkeit bestimmt die unter den Mitgliedern einer Gesellschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt am weitesten verbreitete Weltanschauung deren Wirtschaft, Politik und Sitten.
Die metaphysischen Wandlungen - das heißt, die radikalen, globalen Veränderungen der von der Mehrzahl der Menschen geteilten Weltanschauung - sind in der Geschichte der Menschheit selten. Als Beispiel einer solchen Wandlung kann das Aufkommen des Christentums angeführt werden.
Sobald sich eine metaphysische Wandlung vollzogen hat, breitet sie sich, ohne auf Widerstand zu treffen, bis zur letzten Konsequenz aus. Ungerührt fegt sie die wirtschaftlichen und politischen Systeme, die ästhetischen Urteile und die sozialen Hierarchien hinweg. Keine menschliche Macht kann ihren Lauf anhalten - keine andere Macht, es sei denn das Aufkommen einer neuen metaphysischen Wandlung.
Man kann nicht behaupten, daß die metaphysischen Wandlungen in erster Linie geschwächte Gesellschaften befallen, die bereits im Niedergang begriffen sind. Als das Christentum aufkam, befand sich das römische Reich auf dem Gipfel seiner Macht; perfekt organisiert, beherrschte es die bekannte Welt; seine technische und militärische Überlegenheit war unübertroffen; und dennoch hatte es keine Chance. Als im Mittelalter die moderne Wissenschaft aufkam, bot das Christentum ein umfassendes Erklärungssystem des Menschen und der Welt; es diente den Völkern als Regierungsgrundlage, brachte Wissen und Werke hervor, entschied über Frieden wie auch Krieg, regelte die Produktion und die Verteilung der Reichtümer; nichts davon konnte es jedoch vor dem Niedergang schützen.
Michel Djerzinski war weder ein Vorkämpfer noch der wichtigste Wegbereiter dieser dritten, in vieler Hinsicht radikalsten metaphysischen Wandlung, die eine neue Epoche in der Weltgeschichte einleiten sollte; doch aufgrund einiger außergewöhnlicher Lebensumstände, war er ein besonders bewußter, besonders hellsichtiger Wegbereiter dieser Wandlung.
Wir leben heute in einer ganz neuen Ordnung,
Und die Verflechtung der Umstände umhüllt unsere Körper,
Umströmt unsere Körper
Mit einem Strahlenkranz der Freude.
Was die Menschenfrüherer Zeitalter manchmal in ihrer
Musik erahnten,
Verwirklichen wir jeden Tag in der praktischen Realität. Was für sie dem Reich des Unerreichbaren und des Absoluten
angehörte,
Betrachten wir als etwas ganz Einfaches, Wohlbekanntes. Und dennoch verachten wir diese Menschen nicht, Wir wissen, was wir ihren Träumen
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