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Gewalt

Gewalt

Titel: Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Pinker
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Anhängern gegessen wurde, die damit Erlösung und Unsterblichkeit erlangten. [30]
    Die Geschichte Jesu spielt vor dem Hintergrund des Römischen Reiches, der letzten einer ganzen Reihe von Besatzungsmächten in Juda. Während seiner ersten Jahrhunderte spielte sich das Christentum zwar unter der Pax Romana (dem »römischen Frieden«) ab, aber dieser Begriff ist relativ zu betrachten. [31] Es war eine Zeit der unerbittlichen Expansion des Reiches mit der Eroberung Großbritanniens, der Zerstörung des Zweiten Tempels in Jerusalem und der darauffolgenden Deportation der jüdischen Bevölkerung.
    Das beherrschende Symbol des Imperiums war das Kolosseum, das heute von Millionen Touristen besichtigt wird und auf der ganzen Welt die Pizzakartons ziert. In diesem Stadion sah sich ein Publikum, zahlreich wie bei einer Fußballweltmeisterschaft, Schauspiele von nahezu unvorstellbarer Grausamkeit an. Nackte Frauen wurden an Pfosten gefesselt und vergewaltigt oder von Tieren in Stücke gerissen. Armeen von Kriegsgefangenen ermordeten sich gegenseitig in Schaukämpfen. Sklavinnen inszenierten buchstäblich die mythischen Berichte von Verstümmelung und Tod; ein Mann, der beispielsweise den Prometheus spielte, wurde an einen Felsen gekettet, und ein abgerichteter Adler pickte ihm die Leber heraus. Gladiatoren bekämpften einander bis zum Tode, und unsere Geste mit dem nach oben oder unten gerichteten Daumen dürfte von den Signalen abstammen, mit denen die Menge einem siegreichen Gladiator mitteilte, ob er seinem Gegner den Gnadenstoß versetzen durfte. Fast eine halbe Million Menschen starb einen solchen grausigen Tod, um die Bürger Roms mit Brot und Spielen zu versorgen. Die Grandezza Roms lässt unsere gewalttätige Unterhaltung in einem ganz anderen Licht erscheinen, ganz zu schweigen von unseren »Extremsportarten« und »Verlängerung mit Sudden Death«.
    Die berühmteste römische Tötungsmethode war natürlich die Kreuzigung. Jeder, der schon einmal an der Fassade einer Kirche nach oben geblickt hat, muss sich Gedanken darüber gemacht haben, welch unaussprechliche Qual es bedeutet, an ein Kreuz genagelt zu werden. Wer einen kräftigen Magen hat, kann seine Phantasien mit einer gerichtsmedizinischen Untersuchung des Todes Jesu ergänzen, die sich auf archäologische und historische Quellen stützte und 1986 im
Journal of the American Medical Association
erschien. [32]
    Eine Hinrichtung begann im alten Rom damit, dass der nackte Gefangene gegeißelt wurde. Mit einer kurzen Peitsche aus geflochtenem Leder, in das spitze Steine eingelassen waren, schlugen römische Soldaten den Mann auf Rücken, Gesäß und Beine. Wie die Autoren berichten, »reichten die Platzwunden bis in die unter der Haut liegende Skelettmuskulatur und ließen zitternde Streifen aus blutendem Fleisch entstehen«. Dann wurden die Arme des Gefangenen an einem 50  Kilo schweren Querbalken festgebunden, und man zwang ihn, die Last bis zu einer Stelle zu tragen, an der ein Pfosten in den Boden gerammt wurde. Der Mann wurde auf den verletzten, blutigen Rücken geworfen und mit den Handgelenken an den Querbalken genagelt. (Anders als die üblichen Darstellungen vermuten lassen, kann das Fleisch der Handflächen das Gewicht eines Mannes nicht tragen.) Das Opfer wurde an dem Pfahl hochgezogen, und man nagelte, in der Regel ohne einen Block zur Unterstützung, die Füße daran. Der Brustkorb des Mannes wurde durch das Gewicht des an den Armen hängenden Körpers auseinandergezogen, so dass er kaum ausatmen konnte, ohne mit den Armen an den Nägeln zu ziehen oder mit den Beinen dagegen zu drücken. Der Tod durch Ersticken und Blutverlust trat in der Regel nach einem Martyrium ein, dessen Dauer zwischen drei bis vier Stunden und drei bis vier Tagen schwanken konnte. Die Henker konnten die Folter verlängern, indem sie das Gewicht des Mannes auf einem Sitz ruhen ließen, oder sie konnten die Prozedur beschleunigen, indem sie ihm mit einem Knüppel die Beine brachen.
    Eigentlich bilde ich mir gern ein, dass mir nichts Menschliches fremd ist, aber ich kann mich unmöglich in einen Menschen der Antike hineinversetzen, der sich eine solche Orgie der Grausamkeit ausdachte. Selbst wenn ich Hitler in Gewahrsam hätte und mir eine Bestrafung aussuchen könnte, würde es mir nicht in den Sinn kommen, ihn einer solchen Folter auszusetzen. Ich könnte nicht anders, als vor Mitleid zu wimmern, und ich würde keinen Sinn darin sehen, zu der Fülle der Leiden in der Welt ohne

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