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Gewalt

Gewalt

Titel: Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Pinker
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einen entsprechenden Gegenwert beizutragen. (Selbst dem praktischen Ziel, zukünftige Massenmörder abzuschrecken, wäre besser mit der Erhöhung der Wahrscheinlichkeit gedient, dass sie vor Gericht gestellt werden, als durch Erhöhung der Grausamkeit der Strafe.) Und doch war die Kreuzigung in dem fremden Land, das wir Vergangenheit nennen, eine allgemein übliche Bestrafung. Sie wurde von den Persern erfunden, von Alexander dem Großen nach Europa gebracht und in den Großreichen des Mittelmeerraumes fast überall angewandt. Jesus, der wegen geringfügiger Aufwiegelei verurteilt war, wurde zusammen mit zwei ganz normalen Dieben gekreuzigt. Die Empörung, die diese Geschichte hervorrufen sollte, bestand nicht darin, dass Kleinkriminelle durch Kreuzigung bestraft wurden, sondern dass man Jesus wie einen Kleinkriminellen behandelte.
    Die Kreuzigung Jesu wurde natürlich nie auf die leichte Schulter genommen. Das Kreuz entwickelte sich zu einem Zeichen, das sich in der gesamten antiken Welt verbreitete, im Römischen Reich übernommen wurde und noch heute, zwei Jahrtausende später, das bekannteste Symbol der Welt ist. Der bedrohliche Tod, den es in Erinnerung ruft, muss es zu einem besonders wirksamen Mem gemacht haben. Aber lassen wir unsere Vertrautheit mit dem Christentum einmal beiseite und überlegen wir, welche Geisteshaltung die Kreuzigung überhaupt erst als sinnvoll zu erweisen versuchte. Angesichts unserer heutigen Sensibilität ist es mehr als nur ein wenig makaber, dass eine große moralische Bewegung die bildliche Darstellung eines entsetzlichen Folter- und Hinrichtungsinstruments als ihr Symbol übernahm. (Man stelle sich vor, ein Duschkopf sei das Symbol eines Holocaust-Museums, oder die Überlebenden des Völkermordes von Ruanda würden rund um das Symbol einer Machete eine Religion gründen.) Oder genauer gefragt: Welche Lehre zogen die ersten Christen aus der Kreuzigung? Heute würde eine solche Barbarei die Menschen wachrütteln, so dass sie sich einem brutalen Regime entgegenstellen, oder sie würde dazu aufrufen, dass derartige Qualen nie wieder einem Lebewesen angetan werden. Aber das waren keineswegs die Lehren, die die frühen Christen damals daraus zogen. Nein, die Hinrichtung Jesu ist die Frohe Botschaft, ein notwendiger Schritt in einem höchst wundersamen historischen Ablauf. Indem Gott die Kreuzigung stattfinden ließ, tat er der Welt einen unermesslichen Gefallen. Obwohl er unendlich mächtig, mitfühlend und weise ist, konnte er sich keinen anderen Weg ausdenken, um die Menschheit vor der Bestrafung für ihre Sünden (und insbesondere für die Sünde, von einem Paar abzustammen, das ihm ungehorsam gewesen war) zu erlösen: Er musste zulassen, dass ein Unschuldiger (und kein Geringerer als sein Sohn) mit Nägeln, die man ihm durch Arme und Beine geschlagen hatte, langsam und qualvoll erstickte. Wenn die Menschen anerkennen, dass dieser sadistische Mord ein göttliches Gnadengeschenk war, können sie das ewige Leben erwerben. Und wenn sie die Logik in alledem nicht erkennen, wird ihr Fleisch für alle Ewigkeit in einem quälenden Feuer brennen.
    Nach dieser Denkweise ist der Tod durch Folter nichts unvorstellbar Schreckliches, sondern er hat auch eine positive Seite. Er ist ein Weg zur Erlösung, ein Teil des göttlichen Plans. Wie Jesus, so fanden auch die ersten christlichen Heiligen ihren Platz bei Gott, weil sie auf erfindungsreiche Weise zu Tode gefoltert wurden. Über ein Jahrtausend lang wurden diese Qualen in den christlichen Märtyrergeschichten mit pornographischem Genuss geschildert. [33]
    Ich möchte nur einige Heilige nennen, deren Namen – weniger allerdings ihre Todesursachen – allgemein bekannt sind. Der heilige Petrus, ein Apostel Jesu und der erste Papst, wurde mit dem Kopf nach unten gekreuzigt. Andreas, der Schutzheilige Schottlands, fand sein Ende an einem X-förmigen Kreuz, auf das die diagonalen Streifen der britischen Fahne zurückgehen. Der heilige Laurentius wurde bei lebendigem Leib auf einem Bratrost gegrillt, ein Detail, das den meisten Kanadiern nicht bekannt ist: Sie kennen seinen Namen von dem Fluss, dem Golf und einer der beiden großen Einkaufsstraßen von Montreal. Der Name der zweiten erinnert an die heilige Katharina, die aufs Rad geflochten wurde: Bei dieser Bestrafung fesselte der Henker das Opfer auf einem Wagenrad, zerschmetterte ihm mit einem Hammer die Glieder, flocht den gebrochenen, aber noch lebenden Körper durch die Speichen und zog ihn

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