Gewalt
gilt schon lange als grausiges Kriegsverbrechen, das von den meisten Armeen zu verhindern versucht und von den anderen geleugnet oder verschleiert wird. Für die Helden der
Ilias
dagegen war weibliches Fleisch eine legitime Kriegsbeute. Frauen waren dazu da, dass man an ihnen Spaß hatte, sie als Besitz betrachtete und nach Belieben wieder wegwarf. Menelaos beginnt den Trojanischen Krieg, als seine Frau Helena entführt wird. Agamemnon bring Unglück über die Griechen, weil er sich weigert, eine Sexsklavin an ihren Vater zurückzugeben, und als er schließlich nachgibt, eignet er sich eine an, die Achilleus gehört – und diesem bietet er später achtundzwanzigfachen Ersatz an. Achilleus seinerseits liefert folgende knappe Beschreibung seiner Karriere: »ebenso opferte ich auch zahlreiche schlaflose Nächte, wirkte die Tage hindurch in der blutigen Arbeit des Krieges, focht mit den Feinden, um jene mit Frauen nur zu versorgen!« [15] Als Odysseus nach zwanzigjähriger Abwesenheit zu seiner Frau zurückkehrt, ermordet er die Männer, die ihr den Hof gemacht haben, während alle glaubten, er sei tot; und als er feststellt, dass die Männer sich auch mit dem Dutzend Konkubinen seines Haushalts vergnügt haben, lässt er die Konkubinen von seinem Sohn ebenfalls hinrichten.
Solche Berichte über Blutbad und Vergewaltigung sind auch nach den Maßstäben der heutigen Kriegsberichterstattung beunruhigend. Sicher, Homer und seine Gestalten bedauerten die Überflüssigkeit des Krieges, sie nahmen ihn aber wie das Wetter als unvermeidliche Tatsache des Lebens hin – als etwas, über das alle reden, ohne dass irgendjemand daran etwas ändern könnte. Odysseus formuliert es so: »Uns hat Zeus das Schicksal beschieden, unser Leben mit schmerzhaften Kriegen hinzubringen, von unserer Jugend an bis wir alle vergehen.« Bei allem Erfindungsreichtum, den die Männer so erfolgreich auf Waffen und Strategie anwandten, standen sie mit leeren Händen da, wenn es um die prosaischen Ursachen des Krieges ging. Statt in der Geißel des Krieges ein menschliches Problem zu erkennen, das von Menschen gelöst werden kann, brauten sie sich Phantasien von hitzköpfigen Göttern zusammen und führten ihre eigenen Tragödien auf deren Eifersüchteleien und Launen zurück.
Römisches Reich und frühes Christentum
Christen spielen die grimmige Gottheit des Alten Testaments in der Regel zugunsten eines neueren Gottesbegriffs herunter, der sich im Neuen Testament (der christlichen Bibel) in seinem Sohn Jesus, dem Friedensfürsten, verkörpert. Seine Feinde zu lieben und die andere Wange hinzuhalten ist sicher ein Fortschritt gegenüber der völligen Zerstörung von allem, was Odem hat. Aber auch Jesus war nicht darüber erhaben, sich die Loyalität seiner Anhänger mit gewalttätigen Bildern zu sichern. In Matthäus 10 , 34 – 37 sagt er:
Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.
Was er mit dem Schwert vorhatte, ist nicht ganz klar, aber es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er irgendjemanden mit der Klinge schlug.
Natürlich gibt es für nichts, was Jesus sagte oder tat, unmittelbare Belege. [29] Die Worte, die ihm die Bibel in den Mund legt, wurden Jahrzehnte nach seinem Tod aufgezeichnet, und das Neue Testament ist wie die hebräische Bibel voller Widersprüche, unbestätigter Berichte und offenkundiger Phantasieprodukte. Aber genau wie die hebräische Bibel, die uns eine Vorstellung von den Wertvorstellungen in der Mitte des 1 . Jahrhunderts v.u.Z. vermittelt, so liefert auch die christliche Bibel viele Aufschlüsse über die beiden ersten Jahrhunderte u.Z. Die Geschichte Jesu ist in jener Zeit keineswegs einmalig. Auch eine Reihe heidnischer Mythen berichtet von einem Erlöser, der von einem Gott gezeugt und von einer Jungfrau zur Wintersonnenwende zur Welt gebracht wurde, von zwölf Jüngern nach Art des Tierkreises umgeben war, zur Frühjahrs-Tagundnachtgleiche als Sündenbock geopfert wurde, in die Unterwelt hinabstieg, in Freuden wiederauferstand und symbolisch von seinen
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