Gewalt
widerrufen, dass er »behauptet und geglaubt hatte, die Sonne sei der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich, während die Erde nicht der Mittelpunkt ist und sich bewegt«. Heute taucht die Folterbank in Karikaturen auf, in denen es um elastische Gliedmaßen und schlechte Wortspiele geht (Dehnübungen; willst du mich aufziehen? Wer schön sein will, muss leiden), aber zu jener Zeit gab es da nichts zu lachen. Der schottische Reiseschriftsteller William Lithgow, ein Zeitgenosse Galileis, beschrieb, wie es war, von der Inquisition auf die Folter gespannt zu werden:
Als die Hebel betätigt wurden, sprengte der Druck meiner Knie gegen die beiden Planken die Sehnen in meinen Kniekehlen, und meine Kniescheiben wurden zerquetscht. Meine Augen traten aus dem Kopf, auf meinem Mund bildete sich Schaum, und meine Zähne begannen zu klappern … und Blut schoss aus meinen Armen, aus den zerrissenen Sehnen, aus Händen und Knien. [37]
Obwohl auch viele Protestanten zu Opfern solcher Folterungsprozeduren wurden, fügten sie anderen, nachdem sie die Oberhand hatten, mit Begeisterung das Gleiche zu. Unter anderem wurden vom 15 . bis 18 . Jahrhundert insgesamt zwischen 60 000 und 100 000 Frauen wegen Hexerei auf dem Scheiterhaufen verbrannt. [38] Wie so vieles in der Geschichte der Gräueltaten, so wurde auch dieses Kapitel in späteren Jahrhunderten in etwas Heiteres umgemünzt. In der heutigen Popkultur sind Hexen keine Opfer von Folter und Hinrichtung, sondern boshafte Comicfiguren oder freche Zauberinnen wie Broom-Hilda, Gundel Gaukeley, Glinda, Samantha oder die Halliwell-Schwestern in
Charmed – Zauberhafte Hexen
.
Die institutionalisierte Folter war im Christentum nicht nur eine gedankenlose Gewohnheit, sondern dahinter standen moralische Überlegungen. Wenn man wirklich glaubt, die Ablehnung Jesu als eigener Retter sei die Eintrittskarte zur feurigen Verdammnis, tut man einem Menschen, den man durch Folter zur Anerkennung Jesu zwingt, den größten Gefallen seines Lebens: besser ein paar Stunden jetzt als später in alle Ewigkeit. Und wenn man einen Menschen zum Schweigen bringt, bevor er andere verderben kann, oder wenn man an ihm ein Beispiel zur Abschreckung der anderen statuiert, handelt man verantwortungsbewusst im Sinne der Volksgesundheit. Augustinus machte den Gedankengang mit zwei Analogien deutlich: Ein guter Vater hindert seinen Sohn daran, eine Giftschlange vom Boden aufzuheben, und ein guter Gärtner schneidet einen verdorrten Zweig ab, um den übrigen Baum zu retten. [39] Die Methode der Wahl hatte Jesus selbst formuliert: »Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen« (Johannes 15 , 6 ).
Auch hier geht es mir nicht darum, den Christen Vorwürfe zu machen, weil sie Folter und Verfolgung gutgeheißen haben.
Natürlich
sind gläubige Christen heute durch und durch tolerant und human. Selbst diejenigen, die von der Fernsehkanzel herab donnernde Reden halten, fordern nicht, Ketzer bei lebendigem Leibe zu verbrennen oder Juden auf die Streckbank zu spannen. Die Frage ist, warum sie das nicht tun, wo ihr Glaube doch besagt, dass sie damit insgesamt dem Guten dienen würden. Die Antwort: Die Menschen im Westen unterteilen heute ihre religiöse Ideologie in Abteilungen. Wenn sie in den Gotteshäusern ihren Glauben bekennen, bekennen sie sich zu Überzeugungen, die sich seit 2000 Jahren kaum verändert haben. Wenn es aber um ihr praktisches Handeln geht, respektieren sie die modernen Normen der Gewaltfreiheit und Toleranz – eine gutartige Heuchelei, für die wir alle dankbar sein sollten.
Die Ritter des Mittelalters
Nicht nur das Wort
heilig
hat es verdient, dass man zweimal darüber nachdenkt, sondern ebenso der Begriff
ritterlich
. Einige besonders romantische Bilder lieferten in der westlichen Kultur die Legenden von Rittern und Damen zu König Artus’ Zeit. Lancelot und Guinevere sind das Urbild der romantischen Liebe; Sir Galahad ist die Verkörperung der Galanterie. Camelot, der Name des Hofes von König Artus, wurde zum Titel eines Broadwaymusicals, und als sich nach der Ermordung von John F. Kennedy herumsprach, dass ihm diese Musik gefallen habe, wurde er zu einem nostalgischen Begriff für seinen Regierungsapparat. Kennedys Lieblingszeilen lauteten angeblich: »Don’t let it be forgot that once there was a spot / For one brief shining moment that was known as Camelot.«
In Wirklichkeit war die
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